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Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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daß er damals von seiner Mutter sprach. – Mit ihr schien er sehr innig zu leben, sprach mir aber nie von ihr, nahm mich nie mit sich nach Hause. Ich wußte kaum, wie seine Mutter aussah.
    Manchmal machte ich damals Versuche, es ihm gleichzutun und meinen Wil-
    len auf etwas so zusammenzuziehen, daß ich es erreichen müsse. Es waren Wünsche da, die mir dringend genug schienen. Aber es war nichts und ging nicht. Mit Demian davon zu sprechen, brachte ich nicht über mich. Was ich mir wünschte, hätte ich ihm nicht gestehen können. Und er fragte auch nicht.
    Meine Gläubigkeit in den Fragen der Religion hatte inzwischen manche
    Lücken bekommen. Doch unterschied ich mich in meinem durchaus von De-
    mian beeinflußten Denken sehr von denen meiner Mitschüler, welche einen völligen Unglauben aufzuweisen hatten. Es gab einige solche, und sie ließen gelegentlich Worte hören wie, daß es lächerlich und menschenunwürdig sei, an einen Gott zu glauben, und Geschichten wie die von der Dreieinigkeit und von Jesu unbefleckter Geburt seien einfach zum Lachen, und es sei eine Schande, daß man heute noch mit diesem Kram hausieren gehe. So dachte ich keineswegs. Auch wo ich Zweifel hatte, wußte ich doch aus der ganzen Erfahrung meiner Kindheit genug von der Wirklichkeit eines frommen Lebens, wie es etwa meine Eltern führten, und daß dies weder etwas Unwürdiges noch geheuchelt sei. Vielmehr hatte ich vor dem Religiösen nach wie vor die tiefste Ehrfurcht.
    Nur hatte Demian mich daran gewöhnt, die Erzählungen und Glaubenssätze
    freier, persönlicher, spielerischer, phantasievoller anzusehen und auszudeuten; wenigstens folgte ich den Deutungen, die er mir nahelegte, stets gern und mit Genuß. Vieles freilich war mir zu schroff, so auch die Sache wegen Kain. Und 38
    einmal während des Konfirmationsunterrichtes erschreckte er mich durch eine Auffassung, die womöglich noch kühner war. Der Lehrer hatte von Golgatha gesprochen. Der biblische Bericht vom Leiden und Sterben des Heilandes hatte mir seit frühester Zeit tiefen Eindruck gemacht, manchmal als kleiner Knabe hatte ich, etwa am Karfreitag, nachdem mein Vater die Leidensgeschichte vorgelesen hatte, innig und ergriffen in dieser leidvoll schönen, bleichen, ge-spenstigen und doch ungeheuer lebendigen Welt gelebt, in Gethsemane und auf Golgatha, und beim Anhören der Matthäuspassion von Bach hatte mich
    der düster mächtige Leidensglanz dieser geheimnisvollen Welt mit allen mystischen Schauern überflutet. Ich finde heute noch in dieser Musik, und im Actus
    ”
    tragicus“, den Inbegriff aller Poesie und alles künstlerischen Ausdrucks.
    Nun sagte Demian am Schluß jener Stunde nachdenklich zu mir: Da ist et-
    ”
    was, Sinclair, was mir nicht gefällt: Lies einmal die Geschichte nach und prüfe sie auf der Zunge, es ist da etwas, was fad schmeckt. Nämlich die Sache mit den beiden Schächern. Großartig, wie da die drei Kreuze auf dem Hügel bei-einanderstehen! Aber nun diese sentimentale Traktätchengeschichte mit dem biederen Schächer! Erst war er ein Verbrecher und hat Schandtaten begangen, weiß Gott was alles, und nun schmilzt er dahin und feiert solche weinerliche Feste der Besserung und Reue! Was für einen Sinn hat solche Reue zwei Schritt vom Grabe weg, ich bitte dich? Es ist wieder einmal nichts als eine richtige Pfaffengeschichte, süßlich und unredlich, mit Schmalz der Rührung und höchst erbaulichem Hintergrund. Wenn du heute einen von den beiden Schächern zum Freund wählen müßtest oder dich besinnen, welchem von beiden du eher Vertrauen schenken könntest, so ist es doch ganz gewiß nicht dieser weinerliche Bekehrte. Nein, der andere ist’s, der ist ein Kerl und hat Charakter. Er poft auf eine Bekehrung, die ja in seiner Lage bloß noch ein hübsches Gerede sein kann, er geht seinen Weg zu Ende und tagt sich nicht im letzten Augenblick feig vom Teufel los, der ihm bis dahin hat helfen müssen. Er ist ein Charakter, und die Leute von Charakter kommen in der biblischen Geschichte gern zu kurz. Vielleicht ist er auch ein Abkömmling von Kain. Meinst du nicht?“
    Ich war sehr bestürzt. Hier in der Kreuzigungsgeschichte hatte ich ganz heimisch zu sein geglaubt und sah erst jetzt, wie wenig persönlich, mit wie wenig Vorstellungskraft und Phantasie ich sie angehört und gelesen hatte.
    Dennoch klang mir Demians neuer Gedanke fatal und drohte Begriffe in mir umzuwerfen, auf deren Bestehenbleiben ich glaubte halten zu müssen. Nein, so konnte man

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