Demian
verlaß dich drauf! Du hast jetzt zum Beispiel, seit einem Jahr etwa, einen Trieb in dir, der ist stärker als alle andern, und er gilt für verboten‘. Die Griechen
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und viele andere Völker haben im Gegenteil diesen Trieb zu einer Gottheit gemacht und ihn in großen Festen verehrt. Verboten‘ ist also nichts Ewiges,
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es kann wechseln. Auch heute darf ja jeder bei einer Frau schlafen, sobald er mit ihr beim Pfarrer gewesen ist und sie geheiratet hat. Bei andern Völkern ist das anders, auch heute noch. Darum muß jeder von uns für sich selber finden, was erlaubt und was verboten – ihm verboten ist. Man kann niemals etwas Verbotnes tun und kann ein großer Schuft dabei sein. Und ebenso umgekehrt.
– Eigentlich ist es bloß eine Frage der Bequemlichkeit! Wer zu bequem ist, um selber zu denken und selber sein Richter zu sein, der fügt sich eben in die Verbote, wie sie nun einmal sind. Er hat es leicht. Andere spüren selber Gebote in sich, ihnen sind Dinge verboten, die jeder Ehrenmann täglich tut, und es sind ihnen andere Dinge erlaubt, die sonst verpönt sind. Jeder muß für sich selber stehen.“
Er schien plötzlich zu bereuen, so viel gesagt zu haben, und brach ab. Schon damals konnte ich mit dem Gefühl einigermaßen begreifen, was er dabei empfand. So angenehm und scheinbar obenhin er nämlich seine Einfälle vorzubrin-gen pflegte, so konnte er doch ein Gespräch nur um des Redens willen“, wie
”
er einmal sagte, in den Tod nicht leiden. Bei mir aber spürte er, neben dem echten Interesse, zu viel Spiel, zu viel Freude am gescheiten Schwatzen, oder so etwas, kurz, einen Mangel an vollkommenem Ernst.
Wie ich das letzte Wort wieder lese, das ich geschrieben –
vollkommener
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Ernst“ –, fällt eine andere Szene mir plötzlich wieder ein, die eindringlichste, 41
die ich mit Max Demian in jenen noch halbkindlichen Zeiten erlebt habe.
Unsere Konfirmation kam heran, und die letzten Stunden des geistlichen
Unterrichts handelten vom Abendmahl. Es war dem Pfarrer wichtig damit,
und er gab sich Mühe, etwas von Weihe und Stimmung war in diesen Stunden wohl zu verspüren. Allein gerade in diesen paar letzten Unterweisungsstunden waren meine Gedanken an anderes gebunden, und zwar an die Person meines Freundes. Indem ich der Konfirmation entgegensah, die uns als die feierliche Aufnahme in die Gemeinschaft der Kirche erklärt wurde, drängte sich mir unabweislich der Gedanke auf, daß für mich der Wert dieser etwa halbjährigen Religionsunterweisung nicht in dem liege, was wir hier gelernt hatten, sondern in der Nähe und dem Einfluß Demians. Nicht in die Kirche war ich nun bereit aufgenommen zu werden, sondern in etwas ganz anderes, in einen Orden des Gedankens und der Persönlichkeit, der irgendwie auf Erden existieren mußte und als dessen Vertreter oder Boten ich meinen Freund empfand.
Ich suchte diesen Gedanken zurückzudrängen, es war mir Ernst damit, die Feier der Konfirmation, trotz allem, mit einer gewissen Würde zu erleben, und diese schien sich mit meinem neuen Gedanken wenig zu vertragen. Doch ich mochte tun, was ich wollte, der Gedanke war da, und er verband sich mir allmählich mit dem an die nahe kirchliche Feier, ich war bereit, sie anders zu begehen als die andern, sie sollte für mich die Aufnahme in eine Gedankenwelt bedeuten, wie ich sie in Demian kennengelernt hatte.
In jenen Tagen war es, daß ich wieder einmal lebhaft mit ihm disputierte; es war gerade vor einer Unterweisungsstunde. Mein Freund war zugeknöpft und hatte keine Freude an meinen Reden, die wohl ziemlich altklug und wichtig-tuerisch waren.
Wir reden zuviel“, sagte er mit ungewohntem Ernst. Das kluge Reden hat
”
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gar keinen Wert, gar keinen. Man kommt nur von sich selber weg. Von sich selber wegkommen ist Sünde. Man muß sich in sich selber völlig verkriechen können wie eine Schildkröte.“
Gleich darauf betraten wir den Schulsaal. Die Stunde begann, ich gab mir Mühe, aufzumerken, und Demian störte mich darin nicht. Nach einer Weile begann ich von der Seite her, wo er neben mir saß, etwas Eigentümliches zu spüren, eine Leere oder Kühle oder etwas dergleichen, so, als sei der Platz unversehens leer geworden. Als das Gefühl beengend zu werden anfing, drehte ich mich um.
Da sah ich meinen Freund sitzen, aufrecht und in guter Haltung wie sonst.
Aber er sah dennoch ganz anders aus als sonst, und etwas ging von ihm aus, etwas umgab ihn, was ich nicht kannte. Ich glaubte, er habe
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