Demian
entzog, brachte ich den lichten zum Opfer. Nicht Lust war mein Ziel, sondern Reinheit, nicht Glück, sondern Schönheit und Geistigkeit.
Dieser Kult der Beatrice änderte mein Leben ganz und gar. Gestern noch ein frühreifer Zyniker, war ich jetzt ein Tempeldiener, mit dem Ziel, ein Heiliger zu werden. Ich tat nicht nur das üble Leben ab, an das ich mich gewöhnt hatte, ich züchte alles zu ändern, suchte Reinheit, Adel und Würde in alles zu bringen, dachte hieran in Essen und Trinken, Sprache und Kleidung. Ich begann den Morgen mit kalten Waschungen, zu denen ich mich anfangs schwer zwingen mußte. Ich benahm mich ernst und würdig, trug mich aufrecht und machte meinen Gang langsamer und würdiger. Für Zuschauer mag es komisch ausgesehen haben – bei mir innen war es lauter Gottesdienst.
Von all den neuen Übungen, in denen ich Ausdruck für meine neue Gesin-
nung suchte, wurde eine mir wichtig. Ich begann zu malen. Es fing damit an, daß das englische Beatricebild, das ich besaß, jenem Mädchen nicht ähnlich genug war. Ich wollte versuchen, sie für mich zu malen. Mit einer ganz neuen Freude und Hoffnung trug ich in meinem Zimmer ich hatte seit kurzem
ein eigenes – schönes Papier, Farben und Pinsel zusammen, machte Palette, Glas, Porzellanschalen, Bleistifte zurecht. Die feinen Temperafarben, die ich gekauft hatte, entzückten mich. Es war ein feuriges Chromoxydgrün dabei, das ich noch zu sehen meine, wie es erstmals in der kleinen, weißen Schale aufleuchtete.
Ich begann mit Vorsicht. Ein Gesicht zu malen, war schwer, ich wollte es erst mit anderem probieren. Ich malte Ornamente, Blumen und kleine phanta-sierte Landschaften; einen Baum bei einer Kapelle, eine römische Brücke mit Zypressen. Manchmal verlor ich mich ganz in dies spielende Tun, war glücklich wie ein Kind mit einer Farbenschachtel. Schließlich aber begann ich, Beatrice zu malen.
Einige Blätter mißglückten ganz und wurden weggetan. Je mehr ich mir
das Gesicht des Mädchens vorzustellen suchte, das ich je und je auf der Stra-
ße antraf, desto weniger wollte es gehen. Schließlich tat ich darauf Verzicht und begann einfach ein Gesicht zu malen, der Phantasie und den Führungen folgend, die sich aus dem Begonnenen, aus Farbe und Pinsel von selber ergaben. Es war ein geträumtes Gesicht, das dabei herauskam, und ich war nicht unzufrieden damit. Doch setzte ich den Versuch sogleich fort, und jedes neue Blatt sprach etwas deutlicher, kam dem Typ näher, wenn auch keineswegs der 53
Wirklichkeit.
Mehr und mehr gewöhnte ich mich daran, mit träumerischem Pinsel Linien
zu ziehen und Flächen zu füllen, die ohne Vorbild waren, die sich aus spielen-dem Tasten, aus dem Unbewußten ergaben. Endlich machte ich eines Tages, fast bewußtlos, ein Gesicht fertig, das stärker als die früheren zu mir sprach.
Es war nicht das Gesicht jenes Mädchens, das sollte es auch längst nimmer sein. Es war etwas anderes, etwas Unwirkliches, doch nicht minder Wertvolles.
Es sah mehr wie ein Jünglingskopf aus als wie ein Mädchengesicht, das Haar war nicht hellblond wie bei meinem hübschen Mädchen, sondern braun mit
rötlichem Hauch, das Kinn war stark und fest, der Mund aber rotblühend, das Ganze etwas steif und maskenhaft, aber eindrücklich und voll von geheimem Leben.
Als ich vor dem fertigen Blatte saß, machte es mir einen seltsamen Ein-
druck. Es schien mir eine Art von Götterbild oder heiliger Maske zu sein, halb männlich, halb weiblich, ohne Alter, ebenso willensstark wie träumerisch, ebenso starr wie heimlich lebendig. Dies Gesicht hatte mir etwas zu sagen, es gehörte zu mir, es stellte Forderungen an mich. Und es hatte Ähnlichkeit mit irgendjemand, ich wußte nicht mit wem.
Das Bildnis begleitete nun eine Weile alle meine Gedanken und teilte mein Leben. Ich hielt es in einer Schieblade verborgen, niemand sollte es erwischen und mich damit verhöhnen können. Aber sobald ich allein in meinem Stübchen war, zog ich das Bild heraus und hatte Umgang mit ihm. Abends heftete ich es mit einer Nadel mir gegenüber überm Bett an die Tapete, sah es bis zum Einschlafen an, und morgens fiel mein erster Blick darauf.
Gerade in jener Zeit fing ich wieder an, viel zu träumen, wie ich es als Kind stets getan hatte. Mir schien, ich habe jahrelang keine Träume mehr gehabt. Jetzt kamen sie wieder, eine ganz neue Art von Bildern, und oft und oft tauchte das gemalte Bildnis darin auf, lebend und redend, mir befreundet Oder feindlich, manchmal
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