Demian
beginnen.
Ich hatte Furcht vor langem Alleinsein, hatte Angst vor den vielen zarten, schamhaften, innigen Anwandlungen, zu denen ich mich stets geneigt fühlte, hatte Angst vor den zarten Liebesgedanken, die mir so oft kamen.
Eines fehlte mir am meisten – ein Freund. Es gab zwei oder drei Mitschüler, die ich sehr gerne sah. Aber sie gehörten zu den Braven, und meine Laster waren längst niemandem mehr ein Geheimnis. Sie mieden mich. Ich galt bei allen für einen hoffnungslosen Spieler, dem der Boden unter den Füßen wankte. Die Lehrer wußten viel von mir, ich war mehrmals streng bestraft worden, meine schließliche Entlassung aus der Schule war etwas, worauf man wartete.
Ich selbst wußte das, ich war auch schon lange kein guter Schüler mehr, sondern drückte und schwindelte mich mühsam durch, mit dem Gefühl, daß das nicht mehr lange dauern könne.
Es gibt viele Wege, auf denen der Gott uns einsam machen und zu uns
selber führen kann. Diesen Weg ging er damals mit mir. Es war wie ein arger Traum. Über Schmutz und Klebrigkeit, über zerbrochene Biergläser und zynisch durchschwatzte Nächte weg sehe ich mich, einen gebannten Träumer, ruhelos und gepeinigt kriechen, einen häßlichen und unsaubern Weg. Es gibt solche Träume, in denen man, auf dem Weg zur Prinzessin, in Kotlachen, in Hintergassen voll Gestank und Unrat steckenbleibt. So ging es mir. Auf diese wenig feine Art war es mir beschieden, einsam zu werden und zwischen mich und die Kindheit ein verschlossenes Edentor mit erbarmungslos strahlenden Wächtern zu bringen. Es war ein Beginn, ein Erwachen des Heimwehs nach
mir selber.
Ich erschrak noch und hatte Zuckungen, als zum erstenmal, durch Briefe
meines Pensionsherrn alarmiert, mein Vater in St. erschien und mir unerwartet gegenübertrat. Als er, gegen Ende jenes Winters, zum zweitenmal kam, war ich schon hart und gleichgültig, ließ ihn schelten, ließ ihn bitten, ließ ihn an die Mutter erinnern. Er war zuletzt sehr aufgebracht und sagte, wenn ich nicht anders werde, lasse er mich mit Schimpf und Schande von der Schule jagen und stecke mich in eine Besserungsanstalt. Mochte er! Als er damals abreiste, tat er mir leid, aber er hatte nichts erreicht, er hatte keinen Weg mehr zu mir gefunden, und für Augenblicke fühlte ich, es geschehe ihm recht.
Was aus mir würde, war mir einerlei. Auf meine sonderbare und wenig
hübsche Art, mit meinem Wirtshaussitzen und Auftrumpfen lag ich im Streit mit der Welt, dies war meine Form zu protestieren. Ich machte mich dabei kaputt, und zuweilen sah für mich die Sache etwa so aus: wenn die Welt Leute wie mich nicht brauchen konnte, wenn sie für sie keinen bessern Platz, keine 50
höhern Aufgaben hatte, nun, so gingen die Leute wie ich eben kaputt. Mochte die Welt den Schaden haben.
Die Weihnachtsferien jenes Jahres waren recht unerfreulich. Meine Mutter erschrak, als sie mich wiedersah. Ich war noch mehr gewachsen, und mein hage-res Gesicht sah grau und verwüstet aus, mit schlaffen Zügen und entzündeten Augenrändern. Der erste Anflug des Schnurrbartes und die Brille, die ich seit kurzem trug, machten mich ihr noch fremder. Die Schwestern wichen zurück und kicherten. Es war alles unerquicklich. Unerquicklich und bitter das Gespräch mit dem Vater in dessen Studierzimmer, unerquicklich das Begrüßen der paar Verwandten, unerquicklich vor allem der Weihnachtsabend. Das war, seit ich lebte, in unsrem Hause der große Tag gewesen, der Abend der Fest-lichkeit und Liebe, der Dankbarkeit, der Erneuerung des Bundes zwischen den Eltern und mir. Diesmal war alles nur bedrückend und verlegenmachend.
Wie sonst las mein Vater das Evangelium von den Hirten auf dem Felde, die
”
hüteten allda ihre Herde“, wie sonst standen die Schwestern strahlend vor ihrem Gabentisch, aber die Stimme des Vaters klang unfroh, und sein Gesicht sah alt und beengt aus, und die Mutter war traurig, und mir war alles gleich peinlich und unerwünscht, Gaben und Glückwünsche, Evangelium und Lichterbaum. Die Lebkuchen rochen süß und strömten dichte Wolken süßerer Erinnerungen aus. Der Tannenbaum duftete und erzählte von Dingen, die
nicht mehr waren. Ich sehnte das Ende des Abends und der Feiertage herbei.
Es ging den ganzen Winter so weiter. Erst vor kurzem war ich eindringlich vom Lehrersenat verwarnt und mit dem Ausschluß bedroht worden. Es würde nicht lange mehr dauern. Nun, meinetwegen.
Einen besonderen Groll hatte ich gegen Max Demian. Den hatte ich nun
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