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Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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hatte sich mein Bekannter im Finstern bei der Wand auf den Boden gelegt und machte sich dort zu schaffen.

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    Kommen Sie“, rief er nach einer Weile, wir wollen jetzt ein wenig Philo-
    ”
    ”
    sophie üben, das heißt das Maul halten, auf dem Bauche liegen und denken.“
    Er strich ein Zündholz an und setzte in dem Kamin, vor dem er lag, Papier und Scheite in Brand. Die Flamme stieg hoch, er schürte und speiste das Feuer mit ausgesuchter Umsicht. Ich legte mich zu ihm auf den zerschlissenen Teppich. Er starrte ins Feuer, das auch mich anzog, und wir lagen schweigend wohl eine Stunde lang auf dem Bauch vor dem flackernden Holzfeuer, sahen es flammen und brausen, ein sinken und sich krümmen, verflackern und zucken und endlich in stiller, versunkener Glut am Boden brüten.
    Das Feueranbeten war nicht das Dümmste, was erfunden worden ist“, mur-
    ”
    melte er einmal vor sich hin. Sonst sagte keiner von uns ein Wort. Mit starren Augen hing ich an dem Feuer, versank in Traum und Stille, sah Gestalten im Rauch und Bilder in der Asche. Einmal schrak ich auf. Mein Genosse warf ein Stückchen Harz in die Glut, eine kleine, schlanke Flamme schoß empor, ich sah in ihr den Vogel mit dem gelben Sperberkopf. In der hinsterbenden Kaminglut liefen goldig glühende Fäden zu Netzen zusammen, Buchstaben
    und Bilder erschienen, Erinnerungen an Gesichter, an Tiere, an Pflanzen, an Würmer und Schlangen. Als ich, erwachend, nach dem andern sah, stierte er, das Kinn auf den Fäusten, hingegeben und fanatisch in die Asche.
    Ich muß jetzt gehen“, sagte ich leise.
    ”Ja, dann gehen Sie. Auf Wiedersehen!“
    ”
    Er stand nicht auf, und da die Lampe gelöscht war, mußte ich mich mit
    Mühe durchs finstere Zimmer und die finsteren Gänge und Treppen aus dem verwunschenen alten Hause tasten. Auf der Straße machte ich halt und sah an dem alten Hause hinauf. In keinem Fenster brannte Licht. Ein kleines Schild aus Messing glänzte im Schein der Gaslaterne vor der Tür.
    Pistorius, Hauptpfarrer“, las ich darauf.
    ”
    Erst zu Hause, als ich nach dem Abendessen allein in meinem kleinen Zimmer saß, fiel mir ein, daß ich weder über Abraxas noch sonst etwas von Pistorius erfahren habe, daß wir überhaupt kaum zehn Worte gewechselt hatten.
    Aber ich war mit meinem Besuch bei ihm sehr zufrieden. Und für das nächste Mal hatte er mir ein ganz exquisites Stück alter Orgelmusik versprochen, eine Passacaglia von Buxtehude.
    Ohne daß ich es wußte, hatte der Organist Pistorius mir eine erste Lekti-on gegeben, als ich mit ihm vor dem Kamin auf dem Boden seines trüben
    Einsiedlerzimmers lag. Das Schauen ins Feuer hatte mir gutgetan, es hatte Neigungen in mir gekräftigt und bestätigt, die ich immer gehabt, doch nie eigentlich gepflegt hatte. Allmählich wurde ich teilweise darüber klar.
    Schon als kleines Kind hatte ich je und je den Hang gehabt, bizarre Formen der Natur anzuschauen, nicht beobachtend, sondern ihrem eigenen Zauber, 68
    ihrer krausen, tiefen Sprache hingegeben. Lange, verholzte Baumwurzeln, farbige Adern im Gestein, Flecken von Öl, das auf Wasser schwimmt, Sprünge in Glas – alle ähnlichen Dinge hatten zuzeiten großen Zauber für mich gehabt, vor allem auch das Wasser und das Feuer, der Rauch, die Wolken, der Staub, und ganz besonders die kreisenden Farbflecke, die ich sah, wenn ich die Augen schloß. In den Tagen nach meinem ersten Besuch bei Pistorius begann dies mir wieder einzufallen. Denn ich merkte, daß ich eine gewisse Stärkung und Freude, eine Steigerung meines Gefühls von mir selbst, die ich seither spürte, lediglich dem langen Starren ins offene Feuer verdankte. Es war merkwürdig wohltuend und bereichernd, das zu tun!
    An die wenigen Erfahrungen, welche ich bis jetzt auf dem Wege zu meinem eigentlichen Lebensziel gefunden hatte, reihte sich diese neue: das Betrachten solcher Gebilde, das Sichhingeben an irrationale, krause, seltsame Formen der Natur erzeugt in uns ein Gefühl von der Übereinstimmung unseres Innern mit dem Willen, der diese Gebilde werden ließ – wir spüren bald die Versuchung, sie für unsere eigenen Launen, für unsere eigenen Schöpfungen zu halten –
    wir sehen die Grenze zwischen uns und der Natur zittern und zerfließen und lernen die Stimmung kennen, in der wir nicht wissen, ob die Bilder auf unserer Netzhaut von äußeren Eindrücken stammen oder von inneren. Nirgends so
    einfach und leicht wie bei dieser Übung machen wir die Entdeckung, wie sehr wir Schöpfer sind,

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