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Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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wie sehr unsere Seele immerzu teilhat an der beständigen Erschaffung der Welt. Vielmehr ist es dieselbe unteilbare Gottheit, die in uns und die in der Natur tätig ist, und wenn die äußere Welt unterginge, so wäre einer von uns fähig, sie wieder aufzubauen, denn Berg und Strom, Baum und Blatt, Wurzel und Blüte, alles Gebildete in der Natur liegt in uns vorgebildet, stammt aus der Seele, deren Wesen Ewigkeit ist, deren Wesen wir nicht kennen, das sich uns aber zumeist als Liebeskraft und Schöpferkraft zu fühlen gibt.
    Erst manche Jahre später fand ich diese Beobachtung in einem Buche bestä-
    tigt, nämlich bei Leonardo da Vinci, der einmal davon redet, wie gut und tief anregend es sei, eine Mauer anzusehen, welche von vielen Leuten angespien worden ist. Vor jenen Flecken an der feuchten Mauer fühlte er dasselbe wie Pistorius und ich vor dem Feuer.
    Bei unserem nächsten Zusammensein gab mir der Orgelspieler eine Er-
    klärung.
    Wir ziehen die Grenzen unserer Persönlichkeit immer viel zu eng! Wir
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    rechnen zu unserer Person immer bloß das, was wir als individuell unterschieden, als abweichend erkennen. Wir bestehen aber aus dem ganzen Bestand
    der Welt, jeder von uns, und ebenso wie unser Körper die Stammtafeln der Entwicklung bis zum Fisch und noch viel weiter zurück in sich trägt, so haben wir in der Seele alles, was je in Menschenseelen gelebt hat. Alle Götter und Teufel, die je gewesen sind, sei es bei Griechen und Chinesen oder bei 69
    Zulukaffern, alle sind mit in uns, sind da, als Möglichkeiten, als Wünsche, als Auswege. Wenn die Menschheit ausstürbe bis auf ein einziges halbwegs begabtes Kind, das keinerlei Unterricht genossen hat, so würde dieses Kind den ganzen Gang der Dinge wiederfinden, es würde Götter, Dämonen, Paradiese, Gebote und Verbote, Alte und Neue Testamente, alles würde es wieder produzieren können.“
    Ja gut“, wandte ich ein,
    aber worin besteht dann noch der Wert des
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    einzelnen? Warum streben wir noch, wenn wir doch alles in uns schon fertig haben?“
    Halt!“ rief Pistorius heftig. Es ist ein großer Unterschied, ob Sie bloß die
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    Welt in sich tragen, oder ob Sie das auch wissen! Ein Wahnsinniger kann Gedanken hervorbringen, die an Plato erinnern, und ein kleiner frommer
    Schulknabe in einem Herrnhuter Institut denkt tiefe mythologische Zusammenhänge schöpferisch nach, die bei den Gnostikern oder bei Zoroaster vorkommen. Aber er weiß nichts davon! Er ist ein Baum oder Stein, bestenfalls ein Tier, solange er es nicht weiß. Dann aber, wenn der erste Funke dieser Erkenntnis dämmert, dann wird er Mensch. Sie werden doch wohl nicht alle die Zweibeiner, die da auf der Straße laufen, für Menschen halten, bloß weil sie aufrecht gehen und ihre Jungen neun Monate tragen? Sie sehen doch, wie viele von ihnen Fische oder Schafe, Würmer oder Egel sind, wie viele Ameisen, wie viele Bienen! Nun, in jedem von ihnen sind die Möglichkeiten zum Menschen da, aber erst, indem er sie ahnt, indem er sie teilweise sogar bewußt machen lernt, gehören diese Möglichkeiten ihm.“
    Etwa dieser Art waren unsere Gespräche. Selten brachten sie mir etwas völlig Neues, etwas ganz und gar Überraschendes. Alle aber, auch das banalste, trafen mit leisem stetigem Hammerschlag auf denselben Punkt in mir, alle halfen an mir bilden, alle halfen Häute von mir abstreifen, Eierschalen zerbrechen, und aus jedem hob ich den Kopf etwas höher, etwas freier, bis mein gelber Vogel seinen schönen Raubvogelkopf aus der zertrümmerten Weltschale stieß.
    Häufig erzählten wir auch einander unsere Träume. Pistorius verstand ihnen eine Deutung zu geben. Ein wunderliches Beispiel ist mir eben erinnerlich. Ich hatte einen Traum, in dem ich fliegen konnte, jedoch so, daß ich gewissermaßen von einem großen Schwung durch die Luft geschleudert wurde, dessen ich nicht Herr war. Das Gefühl dieses Fluges war erhebend, ward aber bald zur Angst, als ich mich willenlos in bedenkliche Höhen gerissen sah. Da machte ich die erlösende Entdeckung, daß ich mein Steigen und Fallen durch Anhalten und Strömenlassen des Atems regeln konnte.
    Dazu sagte Pistorius: Der Schwung, der Sie fliegen macht, das ist unser
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    großer Menschheitsbesitz, den jeder hat. Es ist das Gefühl des Zusammenhangs mit den Wurzeln jeder Kraft, aber es wird einem dabei bald bange! Es ist verflucht gefährlich! Darum verzichten die meisten so gerne auf das Fliegen 70
    und ziehen es vor, an Hand gesetzlicher

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