Demian
Buxtehude spielen. In der abendlichen, dunklen Kirche saß ich dann verloren an diese seltsame, innige, in sich selbst versenkte, sich selber belauschende Musik, die mir jedesmal wohl tat und mich bereiter machte, den Stimmen der Seele recht zu geben.
Zuweilen blieben wir auch eine Weile, nachdem die Orgel schon verklungen war, in der Kirche sitzen und sahen das schwache Licht durch die hohen, spitzbogigen Fenster scheinen und sich verlieren.
Es klingt komisch“, sagte Pistorius, daß ich einmal Theologe war und bei-
”
nah Pfarrer geworden wäre. Aber es war nur ein Irrtum in der Form, den
ich dabei beging. Priester sein, ist mein Beruf und mein Ziel. Nur war ich zu früh zufrieden und stellte mich dem Jehova zur Verfügung, noch ehe ich den Abraxas kannte. Ach, jede Religion ist schön. Religion ist Seele, einerlei, ob man ein christliches Abendmahl nimmt oder ob man nach Mekka wallfahrt.“
Dann hätten Sie“, meinte ich, aber eigentlich doch Pfarrer werden kön-
”
”
nen.“
Nein, Sinclair, nein. Ich hätte ja lügen müssen. Unsre Religion wird so
”
ausgeübt, als sei sie keine. Sie tut so, als sei sie ein Verstandeswerk. Katholik könnte ich zur Not wohl sein, aber protestantischer Priester – nein! Die paar wirklich Gläubigen – ich kenne solche – halten sich gern an das Wörtliche, ihnen könnte ich nicht sagen, daß etwa Christus für mich keine Person, sondern ein Heros, ein Mythos ist, ein ungeheures Schattenbild, in dem die Menschheit sich selber an die Wand der Ewigkeit gemalt sieht. Und die anderen, die in die Kirche kommen, um ein kluges Wort zu hören, um eine Pflicht zu erfüllen, um nichts zu versäumen und so weiter, ja, was hätte ich denen sagen sollen?
Sie bekehren, meinen Sie? Aber das will ich gar nicht. Der Priester will nicht bekehren, er will nur unter Gläubigen, unter seinesgleichen leben und will Träger und Ausdruck sein für das Gefühl, aus dem wir unsere Götter machen.“
Er unterbrach sich. Dann fuhr er fort: Unser neuer Glaube, für den wir
”
jetzt den Namen des Abraxas wählen, ist schön, lieber Freund. Er ist das Beste, was wir haben. Aber er ist noch ein Säugling! Die Flügel sind ihm noch nicht gewachsen. Ach, eine einsame Religion, das ist noch nicht das Wahre.
Sie muß gemeinsam werden, sie muß Kult und Rausch, Feste und Mysterien
haben . . . “
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Er sann und versank in sich.
Kann man Mysterien nicht auch allein oder im kleinsten Kreis begehen?“
”
fragte ich zögernd.
Man kann schon“, nickte er. Ich begehe sie schon lang. Ich habe Kulte
”
”
begangen, für die ich Jahre von Zuchthaus absitzen müßte, wenn man davon wüßte. Aber ich weiß, es ist noch nicht das Richtige.“
Plötzlich schlug er mir auf die Schulter, daß ich zusammenzuckte. Junge“,
”
sagte er eindringlich, auch Sie haben Mysterien. Ich weiß, daß Sie Träume
”
haben müssen, die Sie mir nicht sagen. Ich will sie nicht wissen. Aber ich sage Ihnen: leben Sie sie, diese Träume, spielen Sie sie, bauen Sie ihnen Altäre!
Es ist noch nicht das Vollkommene, aber es ist ein Weg. Ob wir einmal, Sie und ich und ein paar andere, die Welt erneuern werden, das wird sich zeigen.
In uns drinnen aber müssen wir sie jeden Tag erneuern, sonst ist es nichts mit uns. Denken Sie dran! Sie sind achtzehn Jahre alt, Sinclair, Sie laufen nicht zu den Straßendirnen, Sie müssen Liebesträume, Liebeswünsche haben.
Vielleicht sind sie so, daß Sie sich vor ihnen fürchten. Fürchten Sie sich nicht!
Sie sind das Beste, was Sie haben! Sie können mir glauben. Ich habe damit viel verloren, daß ich in Ihren Jahren meine Liebesträume vergewaltigt habe.
Man muß das nicht tun. Wenn man von Abraxas weiß, darf man es nicht mehr tun. Man darf nichts fürchten und nichts für verboten halten, was die Seele in uns wünscht.“
Erschreckt wandte ich ein: Aber man kann doch nicht alles tun, was einem
”
einfällt! Man darf doch auch nicht einen Menschen umbringen, weil er einem zuwider ist.“
Er rückte näher zu mir.
Unter Umständen darf man auch das. Es ist nur meistens ein Irrtum. Ich
”
meine auch nicht, Sie sollen einfach alles das tun, was Ihnen durch den Sinn geht. Nein, aber Sie sollen diese Einfälle, die ihren guten Sinn haben, nicht dadurch schädlich machen, daß Sie sie vertreiben und an ihnen herummora-lisieren. Statt sich oder einen andern ans Kreuz zu schlagen, kann man aus einem Kelch mit feierlichen Gedanken Wein trinken und dabei das
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