Demolition
Krokodile, stumpfsinnig, reizbar, gefräßig... Wasserbüffel, so mißgelaunt wie Nashörner und kaum kleiner... einen halben Kilometer entfernt bemerkte er die schwachen Hirnwellen von Elefanten, Wapitis und Großkatzen... »Es ist den Versuch wert«, murmelte Powell zu sich selbst. »Der Schutzschirm muß weg. Das ist der ein zige Weg.« Er schottete seine oberste Bewußtseinsschicht ab, tarnte alles bis auf seine emotionale Ausstrahlung, und sendete: Furcht, Furcht, Schrecken, Furcht... Er drückte die Emotion abwärts auf die Primitivebene. Furcht, Furcht, Schrecken, Furcht... FURCHT... FLUCHT... SCHRECKEN... FURCHT... FLUCHT... SCHRECKEN... Flucht... Auf sämtlichen Ästen erwachten alle Vögel mit Schreckensschreien. Die Affen brüllten ausnahmslos auf und schüttelten mit ihrer urplötzlichen Flucht das gesamte Geäst bis hin zum schmächtigsten Zweiglein. Eine ununterbrochene Folge von dumpfen Schmatzgeräuschen erscholl vom See, als die Herde von Flußpferden in blindem Entsetzen ihre Leiber aus dem Schlamm riß. Das ohrenbetäubende Trompeten und fürchterliche Stampfen, mit dem die Elefanten die Stampede auslösten, ließ den Dschungel erbeben. Reich stutzte und blieb stehen, um zu lauschen, ohne länger auf Hassop zu achten, der noch immer innerhalb des Schutzschirms von Wand zu Wand lief, dabei wimmerte und schluchzte. Als erste berannten die Flußpferde den Schutzschirm wie eine blindwütige, betrunkene Dampfwalze. Ihnen folgten die Wasserbüffel und Krokodile. Danach kamen die Elefanten. Dann die Wapitis, die Zebras und Gnus... Herden kräftiger, schwerer Tiere. Seit dem Bestehen des Naturschutzgebiets war keine derartige Massenflucht aufgetreten. Die Hersteller des Personenschutzschirms hatten einen Ansturm von solcher Gewalt und Dauer niemals in Betracht gezogen. Reichs Schutzschirm brach mit einem Klirren wie beim Einsturz eines gläsernen Turms zusammen.
Die Flußpferde trampelten übers Lagerfeuer hinweg, zerstreuten das Holz in alle Winde, löschten die Glut. Powell eilte durch die Dunkelheit und packte Hassop am Arm, zerrte den restlos verstörten Mann über die Lichtung zu dem Stapel Marschgepäck. Ein wuchtiger Huftritt brachte ihn ins Wanken, aber er hielt Hassop fest und suchte den kostbaren Filmbehälter. Durch das Toben, das die Finsternis ausfüllte, nahm Powell die von den aufgescheuchten Tieren verbreiteten TW der Raserei wahr. Er wich der Hauptmasse des Getiers aus, schleifte Hassop noch immer mit sich; hinter dem dicken Stamm eines lignum vitae verschnaufte Powell und verbarg den Filmbehälter sicher in seiner Tasche. Hassop schluchzte noch. Powell peilte Reich an; er stand etwa fünfzig Meter entfernt im Schutz eines Chinarindenbaums, Pfeile und Bogen in klammen Händen. Er war verwirrt, wütend, erschrocken... aber in Sicherheit. Powell lag mehr als an allem anderen daran, ihm die Demolition vorzubehalten.
Powell hakte den Schutzschirm-Apparat von seinem Gürtel und warf ihn hinüber zur Asche der Feuerstelle, wo Reich ihn mit Bestimmtheit finden mußte. Dann wandte er sich ab und führte den völlig geknickten, willenlosen Leiter der Code-Abteilung in die Richtung zum Tor des Naturschutzgebietes .
13
Die Sache Reich war nun reif für die Eingabe beim Staatsanwalt. Powell hoffte, daß sie auch reif war für das kaltblütige, zynische Ungeheuer, das nichts fressen wollte als Tatsachen und Indizien: den alten Vater Moses. Samt seinen Mitarbeitern machte sich Powell in Vater Moses' Dienststelle breit. In die Mitte des Saals hatte man einen runden Tisch gestellt, dessen Platte ein durchsichtiges Modell des Hauses Beaumont einnahm, das bevölkert war von Miniatur-Androiden der dramatis personae. Die Modellbau-Abteilung des P-Labors konnte eine Leistung der Superlative vorweisen; die Figuren der wichtigsten Gestalten waren mit deren tatsächlichen Charakteristika ausgestattet. Die winzigen Abbilder Reichs, der Beaumont, Tates und anderer bewegten sich in der ihren lebenden Vorbildern typischen Art. Neben dem Tisch war das zur von Powells Mitarbeitern erarbeiteten Dokumentation gehörige, umfangreiche Material aufgestapelt, fix und fertig, um der Maschine vorgelegt zu werden. Der alte Vater Moses nahm die gesamte Rundwand des riesigen Saales ein. Seine zahlreichen farbigen Augen glommen und glotzten gefühllos. Seine gigantischen Datenbänke surrten und summten. Sein Mund, die Membrane eines Lautsprechers, stand sozusagen aus Staunen über die menschliche Dummheit offen.
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