Den du nicht siehst
nippte an ihrem Wein und schaute hin und wieder zu dem Mann am Tresen. Als sich das Gespräch dem Kindergarten zuwandte, wie schlecht er arbeitete und wie groß die Kindergruppen dort waren, hatte sie endgültig genug. Sie beschloss, zur Toilette zu gehen, um sich den Neuankömmling aus der Nähe ansehen zu können.
Auf ihrem Rückweg tippte er ihr auf die Schulter und fragte, ob er sie zu einem Glas einladen dürfe. Sie nahm dankend an und setzte sich neben ihn an den Tresen.
»Wie heißt du?«, fragte er.
»Frida. Und du?«
»Henrik.«
»Du bist nicht von hier, oder?«
»Ist das so deutlich zu sehen?« Er lächelte. »Ich wohne in Stockholm.«
»Machst du hier Urlaub?«
»Nein. Mein Vater und ich haben mehrere Restaurants, und wir spielen mit dem Gedanken, auch in Visby eins zu eröffnen. Wir wollen das Terrain ein wenig sondieren.«
Er hatte grüne Augen, die in der Dunkelheit schimmerten. Sie waren fast unnatürlich grün.
»Wie schön. Warst du schon mal auf Gotland?«
»Nein, für mich ist es das erste Mal. Mein Vater war schon oft hier. Er plant ein Lokal mit guter schwedischer Küche und abendlicher Live-Musik. Für Leute, die gut essen und tanzen wollen, ohne in die Diskothek gehen zu müssen. Und es soll nicht nur ein Sommerlokal sein, sondern eins, das das ganze Jahr über geöffnet hat. Was sagst du dazu?«
»Ja, das klingt gut, finde ich. Im Winter ist es hier wirklich nicht so tot, wie viele glauben.«
Mittlerweile hatten ihre Freundinnen bemerkt, was los war. Sie schauten zu dem Paar am Tresen herüber, und ihre fragenden Blicke schwankten zwischen Begeisterung und Neid.
Frida strich ihren Rock glatt und nippte an dem Wein, den er für sie bestellt hatte. Verstohlen schaute sie zu Henrik hinüber. Er hatte ein Grübchen im Kinn und sah aus der Nähe noch besser aus.
»Was machst du denn so?«, fragte er.
»Ich bin Friseurin.«
Instinktiv strich er sich über die Haare.
»Hier in der Stadt?«
»Ja, in einem Salon im Östercentrum. Er heißt ›Kopfhaut‹. Schau doch mal rein, wenn du einen neuen Haarschnitt brauchst.«
»Danke. Das werde ich mir merken. Du hast gar keinen gotländischen Akzent?«
»Nein, ich bin erst vor einem Jahr hergezogen. Wie lange bleibst du?«
Sie wechselte rasch das Thema, um nicht erzählen zu müssen, dass sie Mann und Kinder hatte. Frida war sich ihrer Anziehungskraft auf Männer durchaus bewusst. Sie flirtete gern und wollte mit diesem Fang noch ein wenig spielen. Einfach nur so, weil es Spaß machte.
»Ich weiß nicht. Kommt drauf an, wie es hier läuft«, sagte er. »Vielleicht eine Woche. Wenn wir ein passendes Lokal finden, werde ich im Sommer wohl ziemlich häufig hier sein.«
»Ach, das wäre ja witzig. Ich hoffe, ihr findet etwas.«
Wieder nippte sie an ihrem Wein. Was für ein aufregender Mann.
Er schaute sich im Lokal um, und als er den Kopf bewegte, war sie sich ihrer Sache sicher. Er trug eine Perücke. Warum wohl, überlegte sie. Vielleicht hatte er schüttere Haare. Er sah nicht besonders alt aus. War wohl so ungefähr in ihrem Alter. Aber vielen gehen ja bereits in jungen Jahren die Haare aus. Herrgott, auch Männer konnten ja wohl Wert auf ihr Aussehen legen. Seine Frage riss sie aus ihren Überlegungen.
»Woran denkst du?«
»Ach, an gar nichts.«
Sie merkte, dass sie errötete.
»Du bist richtig niedlich«, sagte er und streichelte ihr Knie.
»Findest du«, fragte sie hilflos und schob seine Hand weg.
Nach ungefähr einer Stunde beschloss Frida, wieder an ihren Tisch zurückzukehren. Henrik wollte ohnehin los. Er bat sie um ihre Telefonnummer. Und da entschied sie, den Zauber zu brechen. Sie sagte ihm, dass sie verheiratet wäre und ein Anruf deshalb keine besonders gute Idee.
Als die Bar gegen ein Uhr schloss, brachen die Freundinnen auf. Sie trennten sich vor dem Lokal mit Umarmungen und versprachen, sich bald wiederzusehen. Frida wohnte als Einzige im Stadtteil Södervärn, einige Kilometer südlich von der Stadtmauer. Sie nahm ihr Rad und machte sich auf den Weg.
Als sie durch die Söderport fuhr, schlug ihr der kalte Wind entgegen. Vor der Mauer war es immer windiger. Aber wenigstens ist es hell, dachte sie. Sie trat in die Pedale, rutschte ab und schrammte ihr Bein auf. Es fing an zu bluten und brannte.
Verdammt. Sie merkte, dass sie zu viel getrunken hatte. Aber sie fuhr weiter. Sie wollte so schnell wie möglich nach Hause.
Am Parkplatz bog sie nach links ab und fuhr am Sportplatz Gutavallen vorbei. Über die
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