Den du nicht siehst
Besprechungen ausreichte. Auf dem Tisch lagen einige Broschüren über die Arbeit der Bereitschaftspolizei. Knutas hatte sich nie weiter darum gekümmert, ob sein Zimmer gemütlich wirkte, und das sah man.
Auf dem Tisch stand ein Foto, ein Beweis, dass es für ihn ein Leben außerhalb der Mordkommission gab. Line und die Kinder, lachend am Strand von Tofa. Eine einsame Blume stand auf der Fensterbank, eine kräftige weiße Pelargonie, mit der er sprach und die er fast jeden Tag goss. Er hatte sie vor einigen Jahren von Karin zum Geburtstag bekommen. Morgens begrüßte er sie und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Von dieser Angewohnheit wusste niemand.
In der Mittagspause machte er einen Spaziergang. Es tat gut, draußen zu sein. Der Hochsommer stand vor der Tür. Die Touristensaison kündigte sich an. Immer mehr Restaurants hatten geöffnet, die Urlauber strömten auf die Insel, und abends war in Visby jetzt viel mehr los. Um diese Jahreszeit kamen Schulklassen und Seminargruppen in den Ort.
Nach der Mittagspause verzog er sich mit einer Tasse Kaffee in sein Zimmer. Er wollte allein sein. Und an diesem Freitag war im Präsidium alles ruhig. Er vertiefte sich in die Berichte über die Ermittlungen im Mordfall Helena Hillerström. Sah sich die Fotos an.
Ein leises Klopfen unterbrach ihn. Karin schaute herein. Sie strahlte ihn an und zeigte dabei die Lücke zwischen ihren Vorderzähnen.
»Du bist noch hier? Es ist doch Freitag, zum Kuckuck! Und schon nach fünf. Ich muss in die Staatliche Weinhandlung. Soll ich dir irgendwas mitbringen?«
»Ich komme mit«, sagte er und stand auf.
Ein gutes Essen und eine Flasche Rotwein würden seine Laune sicher heben.
Im Lokal war die Hölle los. Der Munkkällaren war noch immer beliebt. Dieses rustikale Restaurant mit seinem mittelalterlichen Gewölbe existierte nun schon seit über dreißig Jahren und war in Visby so etwas wie eine Institution. Im Winter hatten nur die kleinere Bar und ein Teil des Restaurants geöffnet. An den Wochenenden drängten sich dort abends die Gäste. In der Hochsaison verwandelte sich das »Munken« in einen Vergnügungspalast mit mehreren Restaurants, Bars, Tanzflächen und einer Bühne für Live-Konzerte. Bereits jetzt waren einige der kleinen Bars in Betrieb: die Salsabar, die Vinylbar und die intime kleine Bierbar. Alle waren bis zum Platzen voll.
Frida Lindh und ihre Freundinnen saßen an einem runden Tisch in der Vinylbar. So, dass sie alles im Blick hatten und selbst gut zu sehen waren.
Es ging laut und chaotisch zu. Aus den Boxen schallten die Doors mit Riders on the Storm. Die Gäste tranken Bier aus großen Krügen und dazu Schnäpse. An einem Tisch spielten jüngere Männer Backgammon.
Frida war angenehm beschwipst. Sie trug ein enges Oberteil und einen kurzen schwarzen Rock aus weichem Stoff. Sie fühlte sich attraktiv und sexy und voller Energie.
Es war wunderschön, dass sie mit ihren neuen Freundinnen ausgehen konnte. Sie lebte erst seit einem Jahr mit ihrer Familie auf Gotland und hatte in Visby zunächst niemanden gekannt. Aber durch den Kindergarten, den ihre Kleinen besuchten, und ihre Arbeit im Frisiersalon hatte sie sich mit einigen Frauen angefreundet und war sehr glücklich darüber. Sie hatten beschlossen, ab und zu gemeinsam etwas zu unternehmen und sich einen lustigen Abend zu machen.
An ihrem Tisch herrschte großartige Stimmung. Frida genoss die interessierten Blicke der Männer in ihrer Umgebung, saugte sie geradezu in sich auf. Sie lachte laut über einen Witz und registrierte aus dem Augenwinkel einen Neuankömmling. Ein hoch gewachsener, mittelblonder Mann hatte am Tresen Platz genommen. Dunkle Augenbrauen, volles Haar, Polohemd und breite Schultern. Er sah aus wie ein Segler.
Der Mann war allein. Er schaute in die Runde, ihre Blicke trafen sich. Wirklich ein toller Typ, dachte sie. Er trank einen Schluck Bier, sah sie ein wenig länger an und lächelte. Frida wurde rot, und ihr wurde heiß. Es fiel ihr schwer, sich auf das Gespräch an ihrem Tisch zu konzentrieren.
Ihre Freundinnen fanden immer ein Thema, von Büchern über Filme bis hin zu Kochrezepten. Gerade tauschten sie sich darüber aus, wie wenig ihre Männer im Haushalt taten. Alle beklagten die männliche Fantasielosigkeit und dass sie nie verstanden, dass der Kleine nicht im verschmierten Hemdchen in den Kindergarten gehen konnte oder dass der Korb von schmutziger Wäsche geradezu überquoll. Frida hörte mit halbem Ohr zu,
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