Den du nicht siehst
Straße und dann die endlose, steile Anhöhe beim Wasserturm hoch. Auf halber Strecke musste sie vom Rad steigen und schieben. Sie konnte einfach nicht mehr.
Auf der linken Straßenseite lag der Friedhof. Die Grabsteine standen wie eine düstere Parade hinter der niedrigen Mauer. Obwohl sie vom Alkohol benebelt war, hatte sie ein unbehagliches Gefühl. Warum hatte sie auch unbedingt mit dem Rad fahren wollen? Stefan hatte sie gebeten, sich auf der Rückfahrt ein Taxi zu nehmen. Seit dem Mord an Helena Hillerström, der erst knappe zwei Wochen zurücklag, machte er sich Sorgen, wenn sie allein unterwegs war. Frida hatte abgelehnt, es war zu teuer. Sie mussten sparen. Jetzt, wo sie das Haus gekauft hatten, fehlte das Geld an allen Ecken und Enden. Und außerdem war der Täter doch festgenommen worden.
Nun bereute sie ihre Sturheit. Verdammt, wie blöd von mir, dachte sie. Das Taxi hätte auch nur ein paar Hunderter gekostet. Das wäre es wirklich wert gewesen.
Weit und breit war kein Mensch auf der Straße zu sehen. Sie hörte nur das Klacken ihrer Absätze. Die Schuhe drückten entsetzlich.
Der Friedhof zog sich noch ungefähr hundert Meter hin. Sie musste an ihm vorbei und beeilte sich.
Plötzlich hörte sie Schritte. Schwer und zielstrebig. Sie lauschte. Hätte sich gern umgedreht, wagte es aber nicht. Sie ging noch etwas schneller.
Die Schritte kamen näher. Frida war sich sicher, dass sie verfolgt wurde. Ruhig bleiben! Das bildete sie sich doch nur ein? Sie blieb stehen. Sofort verstummten die Schritte. Schlagartig war ihr Verstand kristallklar. Es ging noch immer aufwärts – sich aufs Rad zu setzen hatte also keinen Sinn. Dem Friedhof gegenüber, auf der anderen Straßenseite, lagen Wohnhäuser mit großen, finsteren Gärten. Alle Fenster waren dunkel.
Sie ging so schnell sie konnte und spürte die Kälte nicht mehr. Sie verfluchte ihren kurzen Rock und ihre viel zu engen, hochhackigen Schuhe.
Sie überlegte, das Fahrrad fallen zu lassen und zu versuchen, an einem der Häuser Alarm zu schlagen. Stattdessen rannte sie los. Außer sich vor Angst erreichte Frida die Spitze des Hanges, nun ging die Straße wieder abwärts.
Gerade wollte sie auf ihr Rad springen, als zwei Hände sich hart von hinten um ihre Kehle schlossen und zudrückten. Sie bekam keine Luft mehr und ließ ihr Fahrrad los, das scheppernd zu Boden fiel.
Samstag, 16. Juni
Stefan Lindh meldete seine Frau am Samstagmorgen als vermisst. Er war um acht Uhr von seinem jüngsten Kind geweckt worden. Fridas Seite des Bettes war leer. Zuerst hatte er gedacht, sie sei auf die Toilette gegangen. Aber schon bald hatte er festgestellt, dass sie nicht nach Hause gekommen war. Er rief die Freundinnen an, aber auch dort war sie nicht. Dann das Krankenhaus und die Polizei, ebenfalls ohne Ergebnis. Die Polizei bat ihn, noch einige Stunden zu warten.
Als Frida gegen Mittag noch immer nicht aufgetaucht war, setzte er die Kinder ins Auto und fuhr mit ihnen zum Munkkällaren. Er fuhr den Weg, den Frida seiner Meinung nach mit dem Rad genommen hatte. Um zwei Uhr nachmittags hielt er das Warten nicht mehr aus und rief wieder die Polizei an, krank vor Angst. Knutas wurde informiert. Sofort schoss ihm der Mord an Helena Hillerström durch den Kopf, und er beschloss, das Ermittlungsteam zusammenzutrommeln. Während er auf die anderen wartete, rief er den verzweifelten Ehemann an. Seine Frau sei noch nie ohne Nachricht fortgeblieben.
»Ganz ruhig«, mahnte Knutas. »Wir halten hier gleich eine kurze Besprechung ab, und danach komme dann ich oder ein Kollege zu Ihnen. Sagen wir, in einer Stunde?«
Damit war das Gespräch beendet. Der Reihe nach trudelten die anderen ein und ließen sich an dem kleinen Tisch nieder. Karin Jacobsson, Thomas Wittberg und Lars Norrby.
»Wir haben also eine verschwundene Frau«, sagte Knutas. »Sie heißt Frida Lindh, ist vierunddreißig Jahre alt, verheiratet und Mutter von drei Kindern. Die Familie wohnt in Södervärn, genauer gesagt, in der Apelgatan. Die Frau war gestern Abend mit drei Freundinnen zum Essen im Munken und anschließend in einer der Bars, bis das Lokal schloss. Die Freundinnen haben dem Ehemann gesagt, es sei kurz nach eins gewesen, als sie sich trennten und Frida auf ihr Fahrrad gestiegen sei. Frida, die als Einzige in Södervärn wohnt, ist allein mit dem Fahrrad losgefahren. Danach ist sie nicht mehr gesehen worden. Da Frida Lindh offenbar eine pflichtbewusste Mutter ist, gefällt mir ihr Verschwinden
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