Den du nicht siehst
Beziehungen, aber ein Lehrer war meines Wissens nicht dabei. Das war dann also noch früher, noch auf dem Gymnasium?«
»Ja. Offenbar haben sie irgendwann zu Beginn von Helenas vorletztem Schuljahr ein Verhältnis miteinander angefangen. Sie wollten sich in den Weihnachtsferien treffen, wenn Kristian Nordström Recht hat. Und es scheint noch den ganzen Frühling hindurch so weitergegangen zu sein, und irgendwann im Sommer war es dann zu Ende. Der Lehrer, Jan Hagman, war verheiratet und hatte Kinder. Er entschied sich offenbar dafür, bei seiner Frau zu bleiben. Und im Herbst ist er dann an eine andere Schule versetzt worden.«
»Wisst ihr, ob er noch auf der Insel lebt, dieser Lehrer?«, fragte Kihlgård und ließ seinen Röntgenblick über die Pizzakartons schweifen. Irgendwo konnte doch noch ein Rest übrig sein.
»Ja, er wohnt auf Süd-Gotland. Jacobsson und Wittberg waren vor einigen Monaten dort. Sie mussten den Tod seiner Frau untersuchen. Selbstmord.«
»Ach was – du meine Güte.« Kihlgård hob die Augenbrauen. »Da ist der Kerl jetzt ja Witwer. Wie alt ist er?«
»Hagman war damals wohl Mitte vierzig, das bedeutet, dass er mindestens doppelt so alt war wie Helena. Er dürfte also heute um die Sechzig sein.«
Die Abendsonne schien in die Küche, und die Haare der Kinder schimmerten in ihrem Licht. Emma bückte sich über Filip und sog glücklich seinen Duft auf. Seine weichen, hellblonden Haare kitzelten ihre Nase.
»Mm, du riechst aber gut, Mamas Liebling«, sagte sie zärtlich und ging weiter zum nächsten Kopf. Sara hatte dunklere und dichtere Locken, wie Emma selbst. Wieder holte sie tief Luft. Wieder wurde ihre Nase gekitzelt.
»Mmm«, sagte sie. »Auch du riechst wunderbar, Herzchen.« Sie gab ihrer Tochter einen Kuss auf den Kopf. »Ihr seid meine Goldkinder, ihr Kleinen.«
Emma setzte sich zu ihnen an den Tresen, der die große, offene Küche unterteilte. Die Küche gefiel ihr im ganzen Haus am besten. Sie und Olle hatten sie selbst gestaltet. Der eine Teil, in dem sie jetzt saßen, war der Arbeitsbereich. Klinkerboden, schöne Fliesen über dem Spülstein und ein großer Herd mit frei hängender Dunstabzugshaube. Sie fand es wunderbar, hier kochen und zugleich den Blick auf den Garten genießen zu können. An dem Tresen war Platz für vier Personen, perfekt für ein rasches Frühstück oder einen Aperitif mit guten Freunden. Zwei Treppenstufen führten in den Essbereich mit abgebeiztem Kiefernboden, kräftigen Dachbalken und dem großen rustikalen Esstisch. Fenster zu allen Seiten sorgten dafür, dass ihre Kräuter sich in der Küche ebenso wohl fühlten wie Emma selbst.
Die Kinder saßen auf ihren hohen Barhockern, tranken Schokomilch und aßen Zimtbrötchen. Als Trost nach brennendem Shampoo in den Augen und zu heißem oder zu kaltem Wasser, das Mama ihnen bei der Dusche über die Köpfe hatte rinnen lassen.
Emma sah ihnen beim Essen zu. Sara, der Siebenjährigen, die jetzt die erste Klasse hinter sich gebracht hatte. Fröhlich, beliebt, tüchtig in der Schule. Dunkle Augen und rosige Wangen. Bisher ist alles gut gegangen, dachte Emma dankbar. Ihr Blick wanderte weiter zu Filip, dem Sechsjährigen. Weißblond, helle Haut, blaue Augen und Grübchen in den Wangen. Lieb, aber frech. Die beiden waren nur ein Jahr auseinander. Jetzt war sie froh darüber.
Aber anfangs war es hart gewesen. Ein Kind auf jedem Arm. Als Filip geboren wurde, konnte Sara noch nicht einmal laufen. Erst kurz vor seiner Geburt hatte Emma ihr Studium beendet. Mit einem Baby an der Brust und einem im Bauch hatte sie das letzte Jahr am Lehrerseminar hinter sich gebracht. Jetzt konnte sie sich nicht mehr vorstellen, wie sie das geschafft hatte. Aber es hatte ja geklappt. Natürlich, weil Olle ihr eine so große Hilfe gewesen war. Auch er hatte sich damals auf sein BWL-Examen vorbereitet, und so konnten sie sich beim Büffeln und bei der Kinderbetreuung abwechseln. Sie hatten sich abgemüht, mit den Kindern, der schlechten finanziellen Situation und dem anstrengenden Studium. Emma lächelte, als sie daran dachte, wie sie mit dem Doppelkinderwagen losgezogen war, um im Supermarkt billige, leicht beschädigte Tomaten zu kaufen. Und wie sie Stoffwindeln mit Plastikzipfeln benutzt hatten, um Müll und Geld zu sparen. Olle hatte abends vor den Fernsehnachrichten Windeln gefaltet, während Emma stillte. Sie hatten so sehr kämpfen müssen. Zugleich aber hatten sie sich leidenschaftlich geliebt, und sie hatten
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