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Den du nicht siehst

Den du nicht siehst

Titel: Den du nicht siehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mari Jungstedt
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dauerte eine Minute. Vielleicht zwei. Er hielt den Atem an. Dann war sie wieder da.
    »Ja, das geht.«
    »Soll ich dich abholen?«
    »Nein. Ich komme mit dem Auto in die Stadt. Wo?«
    »Ich warte beim Parkplatz auf dem Stora Torget auf dich. In einer Stunde?«
    »Okay.«
     
    Ich bin doch verrückt, dachte Emma, als sie den Hörer auflegte. Ich habe den Verstand verloren. Aber für den Moment war ihr das egal. Es war ungeheuer leicht gewesen. Sie hatte ihrer Schwiegermutter gesagt, eine Freundin habe Sorgen und weine, und sie müsse sofort zu ihr. Das sei doch wirklich kein Problem, versicherte die Schwiegermutter. Sie werde sich um die Kinder kümmern und zum Mittagessen Pfannkuchen für sie backen. Wie schrecklich, die arme Freundin. Die Schwiegermutter war gern bereit, auch den ganzen Abend oder sogar über Nacht zu bleiben, sollte das nötig sein. Olle kam ja erst am nächsten Tag zurück.
    Emma rief ihrer Schwiegermutter zu, sie würde nur noch schnell duschen, sie sei völlig verschwitzt von dem Nachmittag in der Sonne. Dabei klingelten in ihrem Hinterkopf sämtliche Alarmglocken.
    Sie wusch sich die Haare, rieb sich mit einer duftenden Körperlotion ein und verteilte mit aufgeregtem, erwartungsvollem Herzklopfen einige Tropfen Parfüm auf ihrer Haut. Dann streifte sie ihre eleganteste Wäsche sowie Rock und Bluse über. Ein Kuss für die Kinder, und los. Sie atmete tief durch und versprach, später anzurufen. Als sie sich auf den Autositz fallen ließ, war sie schon wieder nass geschwitzt.
    Während sie auf der Landstraße nach Visby fuhr, drehte sie das Autoradio auf volle Lautstärke und kurbelte das Fenster herunter. Sie ließ die warme Frühsommerluft ins Auto wehen und verdrängte ihre Schuldgefühle.
    Als sie den einzig freien Parkplatz ansteuerte, sah sie ihn vor der Staatlichen Weinhandlung. Er trug Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Seine Haare waren zerzaust.
    Alles war ganz selbstverständlich. Sie brauchten nichts zu sagen. Sie gingen einfach nebeneinander über die Straße und betraten Johans Hotel. Als sei es das Natürlichste auf der Welt. An der Rezeption vorbei, die Treppe hoch, weiter bis zu seinem Zimmer, durch die Tür. Zum ersten Mal allein in einem Raum. Sie schwiegen noch immer. Er zog sie an sich, sowie er die Tür geschlossen hatte. Sie registrierte, dass er den Schlüssel im Schloss umdrehte.

 
     
     
     
    Knutas fuhr in raschem Tempo über die Straße in Richtung Südliches Gotland. Karin Jacobsson und Martin Kihlgård saßen hinten. Sie folgten der Landstraße 142, die die Insel in der Mitte durchschnitt. Sie passierten Träkumla, Vall und Hejde. Danach ging es durch die Heide von Lojsta, wo die Gotlandponys fast wie Wildpferde lebten. Karin, die in jungen Jahren als Fremdenführerin gearbeitet hatte, erzählte Kihlgård von diesen rustikalen Ponys, die hier auch Waldwidder genannt wurden.
    »Hast du das Schild mit der Aufschrift ›Russpark‹ gesehen? Wenn wir ein paar Kilometer weiterfahren, dann kommen wir zu dem Teil der Heide, wo sie leben. Die Herde ist das ganze Jahr draußen. Es sind so um die fünfzig Stuten und ein Hengst. Der Hengst bleibt zwischen einem und drei Jahren; das hängt davon ab, wie viele Stuten er in dieser Zeit decken kann. Im Jahr gibt es etwa dreißig Fohlen.«
    »Was fressen sie denn?«, fragte Kihlgård, der auf eine ungeöffnete Tüte Weingummiautos stierte. Er kämpfte mit dem zähen Plastik. Gab auf und biss die Ecke ab.
    »Im Winter bekommen sie Heu, ansonsten fressen sie Gras und das, was sie im Wald so finden. Sie werden nur zweimal im Jahr zur Pflege zusammengetrieben, dann werden ihre Hufe untersucht. Und im Juli werden jeweils die besten Exemplare prämiert.«
    »Was hat es denn für einen Sinn, diese Herde zu haben, wenn sie doch nur die ganze Zeit im Freien herumläuft?«
    »Um die Rasse zu bewahren. Die Gotlandponys sind Schwedens einzige erhaltene einheimische Ponyrasse. Sie sind schon seit der Steinzeit hier. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren sie vom Aussterben bedroht. Dann wurde mit der Zucht begonnen, und seither wächst der Bestand. Heute gibt es auf Gotland zweitausend und im übrigen Schweden an die fünftausend. Sie sind als Reitponys ungeheuer populär. Weil sie so klein sind, nur an die eins fünfundzwanzig Mähnenhöhe, sind sie für Kinder wunderbar geeignet. Es sind gutmütige Tiere, arbeitswillig und ausdauernd. Mein Bruder hat hier Pferde. Ich begleite ihn immer zur Preisverleihung. Wir treffen uns am frühen Morgen und

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