Den du nicht siehst
alles geteilt.
Damals hatte Emma geglaubt, es werde ewig so bleiben mit Olle. Jetzt war sie sich da nicht mehr so sicher.
Sara gähnte ausgiebig. Es war acht Uhr. Zeit zum Schlafengehen. Nach dem Zähneputzen, einem kurzen Märchen und dem Gutenachtkuss ließ Emma sich auf einem der Sofas im Wohnzimmer nieder. Sie mochte nicht fernsehen. Sie schaute aus dem Fenster. Die Sonne stand noch immer hoch am Himmel. Seltsam, wie das Licht die Wahrnehmung verändert, dachte sie. Jetzt, wo der Garten im Licht schwimmt, kommt es mir absurd vor, die Kinder ins Bett zu stecken. Im Dezember erscheint es mir schon um vier so, als sei es Zeit dafür.
Emma rollte sich in der einen Sofaecke zusammen. Ihre Gedanken schweiften wieder in die Vergangenheit.
Natürlich hatten sie lange eine gute Ehe geführt. Als die Kinder noch Babys waren, hatten sie und Olle ganz bewusst den Freitag zu ihrem gemeinsamen Abend erklärt, trotz Kindergeschrei und schmutzigen Windeln. Oft hatten sie bei Kerzenschein dagesessen, abwechselnd Kinder getröstet und ihr gutes Essen heruntergeschlungen, damit es nicht kalt wurde. Aber ab und zu hatte alles reibungslos geklappt. Und diese Abende waren Gold wert gewesen, das erkannte sie jetzt.
Sie hatten einander nicht vergessen, nur weil sie Kinder hatten. Ein Fehler, den viele aus ihrem Bekanntenkreis begangen hatten, und das endete oft mit Scheidung. Aber sie und Olle hatten sich weiterhin gut verstanden. Hatten gelacht und herumgealbert. Auf jeden Fall in den ersten Jahren. Damals hatte Olle oft Blumen mitgebracht und ihr gesagt, wie schön sie sei. Sie hatte sich bei keinem anderen je so vollkommen gefühlt. Selbst als sie nach der ersten Schwangerschaft fast dreißig Kilo zugenommen hatte, hatte er ihren nackten Körper bewundert und gesagt:
»Liebling, du bist so sexy!«
Und sie hatte ihm geglaubt. Hatte sich überaus attraktiv gefühlt, wenn sie in der Stadt unterwegs waren, zumindest bis sie dann in einem Schaufenster ihr Spiegelbild entdeckte und sah, dass sie dreimal so umfangreich war wie ihr Mann.
Sie hatten ihre Liebe behütet, und sie hatte lange gehalten.
Aber in den letzten beiden Jahren war etwas passiert. Sie wusste nicht so recht, wann die Veränderung eingetreten war. Sie wusste nur, dass sie da war.
Es hatte bei ihrem Sexualleben angefangen. Emma fand es immer öder. Immer vorhersehbarer. Olle gab sich zwar alle Mühe, aber es fiel ihr trotzdem schwer, richtige Lust zu empfinden. Natürlich schliefen sie weiterhin miteinander. Aber eben viel seltener. Oft wollte sie sich nur in ein weiches Nachthemd kuscheln und ein gutes Buch lesen, bis ihr die Augen zufielen. In ihrem tiefsten Inneren spürte sie ein Gefühl von bohrender Unzufriedenheit. Würden sie wohl je zu ihrer früheren Leidenschaft zurückfinden? Emma konnte sich das nicht vorstellen.
Auch andere Dinge hatten sich verändert. Olle funktionierte seit längerem im Berufsalltag wie eine Arbeitsmaschine und fand das offenbar auch noch gut. Er schien kein Bedürfnis mehr zu haben, mit ihr etwas Nettes zu unternehmen. Wenn sie mit ihm essen oder ins Kino gehen wollte, musste immer sie die Initiative ergreifen und alles arrangieren. Olle blieb genauso gern zu Hause. Blumensträuße und Komplimente gab es kaum noch. Das war ein großer Unterschied zu den ersten Jahren.
Sie schaute wieder aus dem Fenster. Olle war zu einem Kongress aufs Festland gefahren. Er würde drei Tage fort bleiben. Er hatte heute schon zweimal angerufen. Mit besorgter Stimme. Hatte gefragt, wie sie sich fühlte. Natürlich wusste sie diese Fürsorge zu schätzen, aber im Moment wollte sie einfach nur in Ruhe gelassen werden.
Ihre Gedanken wanderten zu Johan. Sie durfte ihn nicht noch einmal treffen. Das war ausgeschlossen. Sie waren schon viel zu weit gegangen. Aber er löste so viel in ihr aus.
Sie hatte fast vergessen, wie das war. Hatte einfach wilde Lust auf ihn verspürt. Und irgendwie war ihr das auch richtig vorgekommen. Als habe sie ein Recht auf diese Empfindungen. Bei Johan hatte sie sich so lebendig gefühlt, wie ein ganzer Mensch.
Diese Erkenntnis tat weh.
Dienstag, 19. Juni
Nachdem Knutas völlig abgehetzt in den Besprechungsraum gestürzt war, begrüßte er die Kollegen nur kurz. Er kam eine Viertelstunde später als alle anderen. An diesem Morgen hatte er verschlafen. Kihlgård hatte angerufen und ihn geweckt. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und hätte fast die Kaffeetasse umgestoßen, die vor ihm auf dem Tisch
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