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Den du nicht siehst

Den du nicht siehst

Titel: Den du nicht siehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mari Jungstedt
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freundschaftlich auf die Schulter.

 
     
     
     
    Wittberg stürmte atemlos in Kihlgårds Arbeitszimmer, kaum dass er geklopft hatte. Er schwenkte ein Blatt Papier.
    »Wir haben festgestellt, welche Asthmatiker die Opfer kannten. Sieh her«, sagte er und legte das Blatt auf Kihlgårds Schreibtisch. »Das sind die Namen der Leute, die entweder an Asthma oder an anderen Allergien leiden.«
    Kihlgård überflog die Liste, die an die zwanzig Namen enthielt. Auch Kristian Nordström und Jan Hagman waren vertreten.
    »Hmmm«, murmelte er und blickte zu Wittberg hoch. »Nordström ist Asthmatiker, wie ich sehe. Ich habe eben von Knutas erfahren, dass er zumindest zu Helena Hillerström eine sexuelle Beziehung hatte.«
    »Du meine Güte. Vor kurzem?«
    »Nein, es ist schon einige Jahre her. Aber jetzt müssen zwei von uns zu Hagman und zwei zu Nordström fahren. Meldet euch nicht telefonisch an. Überrascht sie. Und lasst euch Inhalatoren geben. Von beiden.«

 
     
     
     
    Sie saßen einander mit ihren Kaffeetassen am Küchentisch gegenüber. Die Kinder waren noch bei Vettern und Kusinen auf dem Land. Olle war nach Roma gekommen, um mit Emma zu sprechen. Ängstlich betrachtete er seine Frau, konnte aber auch seine Frustration nicht verbergen.
    »Was ist los mit dir?«, fragte er als Erstes.
    »Ich weiß nicht.«
    Er wurde lauter.
    »Seit Wochen kommst du mir jetzt schon vor wie eine Fremde. Seit Helena tot ist. Was ist los?«
    »Ich weiß nicht«, wiederholte sie tonlos.
    »Du kannst doch nicht dauernd sagen, dass du es nicht weißt«, ging er hoch. »Ich darf dich nicht in den Arm nehmen, du willst keine Zärtlichkeit, Sex haben wir seit einer Ewigkeit nicht mehr gehabt. Ich versuche dir zu helfen und rede über Helena, aber das willst du auch nicht. Du kümmerst dich einen Dreck um mich und die Kinder, setzt dich in die Stadt ab und nutzt meine Mutter als Babysitterin aus. Was treibst du eigentlich? Hast du einen anderen?«
    »Nein«, sagte sie und schlug die Hände vors Gesicht.
    »Ja, was zum Teufel soll ich denn glauben?«, rief er. »Du bist ja wohl nicht die Einzige hier, die Mitleid verdient hat. Ich habe Helena schließlich auch gekannt. Ich finde das, was passiert ist, genauso entsetzlich. Ich bin auch schockiert, aber du denkst nur an dich!«
    Plötzlich explodierte sie.
    »Von mir aus!«, schrie sie. »Dann schmeißen wir alles hin und lassen uns scheiden. Wir haben ja doch keine Gemeinsamkeiten mehr!«
    Sie sprang auf, verschwand im Badezimmer und schloss die Tür ab.
    »Keine Gemeinsamkeiten mehr!«, brüllte er. »Verdammt noch mal, wir haben zwei Kinder. Zwei kleine Kinder. Was ist mit ihnen? Bedeuten auch die dir gar nichts mehr?«
    Emma setzte sich auf den Toilettendeckel und drehte den Wasserhahn der Badewanne weit auf, sodass sie Olles Wutausbruch nicht mehr hören musste. Sie hielt sich die Ohren zu. Was sollte sie bloß machen? Es war ausgeschlossen, Olle von Johan zu erzählen. Das ging jetzt nicht. Es war einfach unvorstellbar. Aber obwohl sie wütend auf Olle war, hatte sie doch auch ein schlechtes Gewissen. Sie steckte wirklich in der Klemme. Nach einer Weile drehte sie den Hahn wieder zu. Blieb aber noch lange auf dem Toilettendeckel sitzen. Ihr Leben versank im Chaos. Ihre beste Freundin war ermordet worden. Möglicherweise kannte sie den Mörder sogar. Sie hatte bereits daran gedacht, aber die Vorstellung war zu schrecklich, um wahr sein zu können.
    Was wusste sie über die Menschen in ihrer Umgebung? Welche düsteren Geheimnisse verbargen sie hinter verschlossenen Türen? Der Mord hatte Emmas geborgenen Alltag zerstört.
    Und was blieb ihr nun noch?
    Dieser Gedanke brachte sie weiter. Doch, einen Menschen auf der Welt gab es, dem sie voll und ganz vertraute. Und zwar Olle. Wenn jemand immer zu ihr gehalten hatte, dann er. Olle, der immer Zeit zum Zuhören hatte, der mitten in der Nacht aufstand und Tee kochte, wenn sie von Albträumen gequält wurde, der sich während ihrer Schwangerschaften um sie gekümmert hatte. Der ihre Kotze wegputzte, wenn sie sich den Magen verdorben hatte, und der ihr den Schweiß von der Stirn gewischt hatte, als sie ihre gemeinsamen Kinder zur Welt brachte. Der sie liebte, wenn sie weinte, verquollen war und an Windpocken oder Menstruationsbeschwerden litt. Das war Olle. Was machte sie hier denn nur?
    Energisch sprang sie auf und wusch sich das Gesicht. Hinter der Tür herrschte Schweigen. Sie machte sie vorsichtig auf.
    Er war nicht da. Sie ging ins Wohnzimmer.

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