Den du nicht siehst
hinterlassen. Auch die Stockholmer Altstadt war früher von einer Mauer umgeben gewesen. Sie war im 17. Jahrhundert abgerissen worden, um Platz für die vielen neuen Patrizierhäuser zu schaffen. Und hinter den Zäunen zur Straße konnte man kleine grüne Oasen und blühende Gärten finden, genau wie in Visby.
Anders Knutas und Karin Jacobsson schlenderten zur Österlånggatan hinüber. Die fand Knutas ansprechender als die kommerzialisierte Västerlånggatan. In der Österlånggatan gab es vor allem Galerien, Kunstgewerbeläden und Restaurants.
Dort lag auch die Boutique, die Gunilla Olssons Arbeiten verkaufte. Im Schaufenster standen allerlei Tongefäße. Eine Glocke ertönte, als sie die Tür öffneten.
Die Boutique war leer bis auf die Inhaberin, eine elegante Frau von Mitte sechzig.
Knutas stellte sich und seine Kollegin vor und erklärte, warum sie gekommen waren.
Die Frau machte ein trauriges Gesicht.
»Diese Morde sind wirklich schrecklich. Und so unbegreiflich.«
»Ja«, stimmte Knutas zu. »Aber wir werden den Mörder finden. Wir gehen mehreren Spuren nach, unter anderem einer hier in Stockholm. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann haben Sie Gunillas Keramik verkauft. Seit wann haben Sie das gemacht?«
»Erst einige Monate. Sie hatte großen Erfolg. Ich habe ihre Sachen im Winter auf einer Ausstellung in Gotland gesehen und war sofort begeistert. Sie war wirklich begabt. Die Kundschaft fand das auch. Ihre Waren habe ich fast immer sofort verkauft. Vor allem diese Schalen sind beliebt«, sagte sie und zeigte auf eine hohe, breite Schale mit vielen kleinen Vertiefungen, die auf einem gesonderten Regal thronte.
»Hat Gunilla irgendetwas über ihr Privatleben erzählt?«, fragte Karin.
»Nein. Sie war ziemlich verschwiegen. Persönlich hatten wir nicht viel miteinander zu tun. Wir haben meistens nur telefoniert – sie hat ihre Waren nicht selbst hergebracht. Sie hat mich einmal im Frühling hier besucht, und ich war erst vor einigen Wochen bei ihr auf Gotland.«
»Was haben Sie dort gemacht?«
»Ich habe in einem Hotel in Visby gewohnt. Ich wollte mehrere Ateliers besuchen. An einem Tag war ich bei ihr auf dem Hof, und das war wirklich nett. Wir haben zusammen zu Mittag gegessen, und sie hat mir ihre Werkstatt gezeigt. Das hat mich, da ich selbst Künstlerin bin, natürlich sehr interessiert.«
»Und Ihnen ist dabei nichts aufgefallen?«
»Nein, wirklich nicht.«
»Hat sie von irgendwelchen Bekannten gesprochen, einem neuen Freund vielleicht?«
»Nein, aber während ich dort war, hat ein Mann hereingeschaut. Wir saßen gerade beim Essen, und da wollte er nicht stören. Er hat mich höflich begrüßt, und wir haben kurz miteinander gesprochen.«
»Können Sie sich an seinen Namen erinnern?«
»Er hieß Henrik. Das weiß ich noch genau, weil auch mein Bruder so heißt.«
»Und sein Nachname?«
»Den hat er nicht genannt.«
»Schienen die beiden sich gut zu kennen?«
»Na ja, das ist schwer zu sagen. Er hat ja nur kurz vorbeigeschaut. Ich hatte den Eindruck, dass er in der Nähe wohnte. Vielleicht war er ja ein Nachbar.«
»Wie würden Sie ihn beschreiben?«, fragte Knutas.
»Er war in ihrem Alter. Groß und gut gebaut. Füllige aschblonde Haare und außergewöhnlich schöne Augen. Ich glaube, sie waren grün.«
Ach, ich liebe Künstlerinnen und ihre Beobachtungsgabe, dachte Knutas.
»Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?«
»Ja, ich hatte zwar den Eindruck, dass er in der Nachbarschaft wohnte, aber er kann nicht aus När stammen, denn er sprach mit deutlichem Stockholmer Akzent. Da war wirklich keine Spur von Gotländisch zu hören.«
Knutas’ Mobiltelefon klingelte. Kihlgårds aufgeregte Stimme teilte mit, dass einige Jugendliche in einem Bootshaus in Nisseviken die Kleider der ermordeten Frauen gefunden hatten.
Knutas beendete rasch das Gespräch mit der Inhaberin der Boutique, bedankte sich und ging mit Karin auf die Straße hinaus. Dort informierte er sie über den Fund der Kleider.
»Da fahren wir ja wohl besser zurück«, sagte er. »Hier haben wir ohnehin fast alles erledigt. Und er hält sich mit ziemlicher Sicherheit auf Gotland auf.«
Zwei Stunden später saßen sie im Flugzeug, das sie nach Visby zurückbringen sollte.
Emma hatte unruhig geschlafen. Es kam ihr noch sehr früh vor. Sie schaute auf die Uhr. Erst halb sechs.
Neben ihr lag Olle und schien tief zu schlafen. Sein Mund war weit offen, und mit jedem Atemzug entwich ihm übler Geruch.
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