Den ersten Stein
Gewohnheiten.« Ich musterte
den Raum sicherheitshalber noch einmal. »Dieses ganze Zimmer ist ein Giftcocktail, der seine Wirkung entfalten soll, sobald
der Mord an die Öffentlichkeit dringt; jemand hat das hier inszeniert, um Ihnen denStinkefinger zu zeigen.« Ich konnte sehen, dass White meine Überlegungen nicht gefielen, aber er konnte nichts dagegen einwenden.
»Haben Sie irgendwelche Verdächtigen?«
White zog einen Stapel Unterlagen aus seiner Aktentasche. »Das hier ist eine Auswahl der Drohbriefe, die Bruder Isaiah im
letzten Jahr erhalten hat. Die Arbeit des
Kreuzzugs
ruft einige Unzufriedenheit hervor.«
»Was für eine Überraschung.« Wenn man geheim operierende Agenten losschickte, um unlizenzierte Tanzvergnügen, Alkoholausschank
an Minderjährige und glaubensfeindliche Diskriminierung aufzudecken – Letzteres war ein Etikett für alles, was dem
Kreuzzug
nicht in den Kram passte – rief man alles Mögliche hervor. Unzufriedenheit gehörte dazu. Furcht hatte einen weit größeren
Anteil.
»Der
Kreuzzug
fällt irgendwo ein, macht mit seinen Anschuldigungen massenhaft Schlagzeilen, bricht dann wieder auf und überlässt es anderen,
hinter ihm aufzuräumen«, sagte White. »Unsere Arbeit – die den Sündenpfuhl tatsächlich austrocknet – erhält nie die Anerkennung,
die sie verdient.«
Es war kein Geheimnis, dass der
Kreuzzug
und das Komitee für Kinderschutz nicht miteinander auskamen. Das Komitee war die offizielle Sturmtruppe der Ältesten und besaß
volle polizeiliche Befugnisse. Der
Kreuzzug
war in Wirklichkeit nichts anderes als eine Bürgerbewegung, wenn auch eine sehr gut organisierte und mächtige. Er konnte niemanden
festnehmen, den er des Fehlverhaltens beschuldigte; diese Aufgabe blieb Whites Leuten, den Rollers, vorbehalten. Das war es,
was White so ärgerte: Die vom
Kreuzzug
erzeugte öffentliche Aufmerksamkeit bedeutete, dass er dessen Anschuldigungen nachgehen musste. Es waren dann zwar seine Leute,
die die Handschellen anlegten, aber den Erfolg schrieb man trotzdem dem
Kreuzzug
gut.
»Ich muss mir einige dieser Anschuldigungen ansehen.Aber ich nehme an, dass der
Kreuzzug
sie nicht herausrücken wird«, sagte ich.
»Die werden mir nur zu gern Material aushändigen, aber ich bezweifle, dass Sie darin etwas finden werden«, meinte White. Er
setzte sich auf die Bettkante und betrachtete die Leiche. »Ich wäre überrascht, wenn auch nur ein halbes Dutzend Leute tatsächlich
wissen, warum der
Kreuzzug
hier ist. Bruder Isaiah hat die großen Fische immer für sich selbst aufgehoben.«
Die Mission des
Kreuzzugs
war halb Erweckungsveranstaltung, halb Inquisition. Die Organisation befand sich nicht auf einer durchgeplanten Rundreise
durch das Land; sie tauchte einfach dort auf, wo sie sicher war, Ärger zu verursachen. Der
Kreuzzug
mietete immer ein Stadion an und füllte es mit Zuschauern. Die Festlichkeiten begannen normalerweise damit, dass Hunderte
von jungen Frauen ein Keuschheitsgelübde ablegten – ein Gelöbnis, sich für ihren zukünftigen Ehemann aufzusparen. Oft gab
es Massentaufen oder Übertritte, die als Vorspiel für das Hauptereignis dienten: eine Ansprache Bruder Isaiahs. Jeder Sender
im Land strahlte sie aus, denn man wusste, dass es diese Predigten waren, in denen Bruder Isaiah Namen nannte.
In Cleveland hatte er die Karrieren von sechs Stadträten zerstört, indem er ihnen atheistische Sympathien vorwarf. Außerdem
hatte er aus Sorge um ihr spirituelles Wohlergehen fünfzig Menschen der Homosexualität bezichtigt. Diese ruinierten Leben
waren nur die Appetithäppchen. Als Hauptgang servierte Isaiah Bilder des Bürgermeisters mit einer Frau, die viel jünger war
als seine Gattin. Die Fernsehsender sorgten dann dafür, dass die Fotos in ganz Amerika ausgestrahlt wurden.
»Gut möglich, dass die wirklich brisanten Fälle mit ihm gestorben sind«, sagte ich. Jemand schlief heute Nacht vielleicht
ruhiger in dem Wissen, dass der komplizierte Organismus,der einmal seine Geheimnisse gekannt hatte, jetzt nur noch ein Klumpen Fleisch war.
»Sie sollten sich erst einmal die Drohbriefe anschauen«, sagte White. »Ich bin überzeugt, dass die Einzigen, die gewissenlos
und gottesverachtend genug sind, eine solche Gräueltat zu begehen, säkulare Nihilisten sind.«
Natürlich würde man den Mord an einem der mächtigsten christlichen Führer des Landes einem durchgedrehten Atheisten in die
Schuhe schieben. Isaiahs Verehrung als
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