Den Jakobsweg erfahren - Drei Freunde mit dem Fahrrad von Lingen-Biene nach Santiago de Compostella (German Edition)
Das Beheben einer Panne am Hinterrad dauert natürlich länger als am Vorderreifen, da Kette und das gesamte Gepäck von Rad herunter müssen. Aber, die Handgriffe sitzen. Routine, die wir im Prinzip gar nicht wollen, spielt sich ein. Wie bei einem Boxenstopp in der Formel 1 wird das erlernte Programm abgespult und so geht es wenig später wieder auf die Reise.
Gegen 17:00 Uhr erreichen wir die Stadt Chatellerault. Wir fragen uns, ob wir es heute noch bis Poitiers schaffen oder nicht, denn die Zeit läuft uns weg und bis dahin sind es noch gut und gerne 40 km.
Nach dem wir die Stadt verlassen und wieder auf dem Lande sind, stellen wir bei einer planmäßigen Pause fest, dass uns beim Einkauf heute Morgen wohl ein Missgeschick passiert ist. Statt Käse und Brot hat jeder nur für sich Getränke gekauft. Zunächst will jeder die Schuld beim anderen suchen. Dann, mit einem Grinsen im Gesicht, merken wir, dass jeder gleich viel Schuld an diesem kleinen Fehler trägt. Was soll es. Es geht auch ohne Käse und Brot, bzw. es muss ohne gehen. Einige Magdalenas, Mars – Schokoriegel, Bananen und Apfelsinen helfen uns über den „Hungerast“.
Als der Tacho die heutige hundert Kilometermarke knackt, wollen wir eine weitere Pause einlegen. Erst können wir keinen geeigneten Platz dafür finden und fahren, wie schon so oft, einfach weiter. Als wir dann aber einen Berg überwinden, steht da vor uns ein großes steinernes Kreuz, dass sich zum Anstellen unserer ständerlosen Räder zu eignen scheint. Es macht sich so ein komisches Gänsehautgefühl breit. Zu einer Pause kommt es hier aber leider doch nicht, weil um dieses Kreuz das Gras sehr hoch gewachsen ist, und die Räder dann doch nicht so gut Platz haben. Also geht es noch ein Stück weiter bis zu einer Friedhofsmauer. Dort klart sich der ein oder andere versteinerte Gesichtsausdruck wieder auf, denn wir sind letztlich wieder einmal viel weiter gefahren, als wir es eigentlich wollen und die Stimmung ist schlussendlich gut.
Als Timo eine weitere Panne hat, können wir französischen Rennradfahrern mit unserem Werkzeug helfen. Die entschuldigen sich bei uns für das schlechte Wetter. In Frankreich sei es im April und Mai normalerweise immer sonnig. Nur in diesem Jahr sei alles anders. In diesem Jahr sind wir ja auch hier sage ich schmunzelnd zu ihnen. Wir lachen und machen uns alle wieder auf den Weg. Wir versuchen gar nicht erst, deren Tempo zu gehen.
Sehr viele Passanten am Wegesrand rufen uns immer wieder „Bien Courage!“ zu. Dafür bedanken wir uns mit einem herzlichen „Merci“. Das tut bei den ganzen Sachen, die einem so quer in den Kurs laufen, wirklich gut.
Ich komme noch einmal auf das Thema „unfreundliche“ Franzosen zurück. Wir können zu diesem Spruch nur sagen, dass wir bislang niemanden erlebt haben, der dazu gepasst hätte. Genau das Gegenteil haben wir bislang erlebt. Das ist gelebtes Europa!
Mit Timos 4. Reifendefekt des heutigen Tages erreichen wir Poitiers. Es ist schon spät. Daher erkläre ich Timo noch schnell den Weg zur Jugendherberge. Er muss schieben, denn Siggi und ich müssen noch einkaufen, damit es nach diesem entbehrungsreichen Tag wenigstens noch ein Abendbrot mit einem Glas Wein gibt. Ein tatsächlich noch geöffneter Markt liegt auf dem Weg zur Herberge. Drinnen treffen wir noch einen Radpilger, den wir unterwegs schon einmal gesehen haben. Wir grüßen kurz, denn für lange Gespräche ist im Moment keine Zeit. Nachdem alles in Windeseile besorgt ist, hetzen Siggi und ich weiter zur Kasse. Draußen stauen wir die Sachen notdürftig in die Taschen und fahren so schnell es geht zur Jugendherberge. Ich rechne nicht mehr damit, dass wir dort überhaupt noch jemanden vom Personal antreffen, aber es scheint, als wenn man uns dort bereits erwartet. Ein niederländisches Ehepaar, wie sich bald herausstellt auch mit dem Rad auf dem Pilgerweg, nimmt uns in Empfang und baut uns mit liebevollen Worten wieder auf – danke.
Pilgerbruder Timo, der heute wieder einmal arg gebeutelt wurde, schiebt sein Rad hinter uns her. Eine Reparatur hätte echt zu lang gedauert. Er erzählt uns später, dass er uns aus den Augen verloren und dann auch den Weg zur Jugendherberge nicht mehr gewusst habe. Aufgrund sprachlicher Barrieren kann er auch niemanden fragen. Also schiebt er weiter. Dieses scheint eine Autofahrerin geahnt zu haben. Sie hält und erklärt ihm den Weg zur Herberge.
Die Fahrräder werden draußen neben der Eingangstür angekettet. Die
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