Den Jakobsweg erfahren - Drei Freunde mit dem Fahrrad von Lingen-Biene nach Santiago de Compostella (German Edition)
mir dann, dass sie im letzten Jahr in Holland eine Radtour gemacht hat. Sie meint, dass es dort zwar flach ist aber man ständig Gegenwind hat. Hingegen sei es hier windstill, dafür gehe es aber ständig rauf und runter. Wie recht sie hat.
Nach 30 km haben wir den Jakobus wiedergefunden und machen daher an einer Kirche eine Pause. Wir sind sind wieder auf dem rechten Weg. Ich verteile eine Banane für Siggi und für mich, Timo isst zur Zeit lieber Apfelsinen. Großzügigerweise gebe ich Siggi die mit dem Aufkleber. Ich erzähle, dass ich mich mit meinen Brüdern in meiner frühsten Kindheit um die mit dem blauen Chiqui... - Aufkleber fast gehauen habe weil jeder von uns darauf total scharf war. Wir lachen und freuen uns wie kleine Kinder. Da das Navi aufgrund der teilweise fehlenden Karte heute eher unzuverlässig ist, halten wir nach den Jakobsmuschelaufklebern der niederländischen Jakobusgesellschaft Ausschau. Das ist spannend wie Ostereier suchen meint Siggi, denn die sind manchmal auch so gut versteckt wie die Muschelsymbole.
In dem Ort Cadillac, nach etwa 60 Kilometern, machen wir direkt an der Hauptstraße eine Pause. Dort steht eine Parkbank unter Platanen, die gerade ihre ersten Blätter zeigen. Gegenüber ist ein Bäcker. Da es hier Kuchen und Brot gibt, heißt so ein Laden in Frankreich Boulangerie & Patisserie.
Der Akku meines Handys ist, warum auch immer, auch schon fast leer. Da kommt mir die Idee, dort mal zu fragen, ob ich es einen Moment laden darf. Laden heißt ja „charge“ auf Englisch. Das wird in Frankreich bestimmt ähnlich sein. Also gehe ich hinein und bitte die Verkäuferin mit einem „charge s.v.p.“ und dem Zeigen auf Ladegerät und Handy. Sie scheint zu verstehen, denn sie sagt „Ah, chargè“, nimmt die Sachen und steckt das Ladegerät in die Steckdose. Alles läuft, man muss eben nur auf die Leute zugehen. Dann lacht mich so ein Aprikosenkuchen (so eine Art Blätterteig) an, der in den Auslagen liegt. Da ich die Gemeinschaftskasse hüte, beschließe ich Kraft meines Amtes, dass es für jeden ein Stück gibt. Hoffentlich mögen die beiden auch Aprikosen, denke ich noch so, aber egal. Sie packt den Kuchen in eine kleine Kuchenschachtel und so gehe ich zu meinen Pilgerbrüdern, die auf der Parkbank warten. Als ich die Schachtel öffne, ist das fast wie Weihnachten.
Siggi meint, dass der Kuchen so lecker ist, dass Sahne darauf das ganze Geschmackserlebnis zerstören würde. Wie Recht er hat. Aber das Erlebnis ist jäh zu Ende, denn der Kuchen ist für unsere Genusssucht viel zu klein. Also gehe ich mit dem leeren Karton noch einmal hinein und es gibt noch einmal „trois s.v.p.“.
Als die auch vertilgt sind und das Handy genügend Ladung für den Rest der Strecke hat (es zeigt zwar heute nicht immer an, wo wir sind, aber es zeichnet ja zusätzlich unsere gefahrene Strecke noch auf), geht es weiter.
Die Fahrt bereitet zunächst keine großen Probleme. Es wird zusehends ebener. Nur noch ab und an kommt eine Anhöhe, die erobert werden will. Statt dessen hat sich uns ein neuer Gegner vorgestellt, die Hitze. Man ist ja nie wirklich zufrieden. Erst meckert man über den Regen und die Kälte, dann bekommt man gutes Wetter und schon ächzt man über die Hitze. Aber Radfahren bei 32 Grad mit Gepäck ist einfach zu viel.
Bei ca. 100 Kilometern machen wir an einem „Tabac“ - Laden eine Pause. Das sind so „Tante – Emma“ Läden, wo man alles bekommt. Wir brauchen gerade eine eiskalte Cola. Beim Bezahlen fragt uns die Kassiererin, ob wir auf dem Weg seien und ob wir einen Stempel in unsere Pilgerausweise haben möchten. Klar wollen wir. Also schnell die Credentials geholt und das begehrte Siegel abgestaubt. Auf dem Stempel steht, dass es nur noch 1000 km bis Santiago de Compostella (SdC) sind.
Als wir dann das gerade erworbene Getränk durch unsere durstigen Kehlen laufen lassen, überlegen wir, dass es heute wahrscheinlich wieder spät wird, bis wir eine Unterkunft finden, denn so etwa 30 Kilometer sollten noch vor uns liegen. Also noch einmal in den Laden und die obligatorischen 3 Flaschen Wein (roter Bordeaux) geholt.
Draußen angekommen bemerken wir, dass ja auch noch Brot fehlt, also noch einmal rein. Dann ist endlich alles geregelt und es kann weiter gehen. Es sollte sich als außerordentlich schlau erweisen, dass wir schon hier alles besorgt haben.
Die Fahrt geht schnurgerade durch kürzlich neu aufgeforstete Landschaften, die irgendwann wieder einmal Wälder werden
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