Den letzten beißt das Schwein
beziehungsweise auf eine Schwarzwälder Kuckucksuhr. Langsam senkte ich meinen Blick und hatte endlich den Rentner im Visier. Das erklärt die Betonrampe am Hauseingang, schoss mir durch den Kopf: Pohlbeck saß im Rollstuhl, was angesichts der fehlenden Beine keine schlechte Idee war. Der Rollstuhl selbst war ein technisches Wunderwerk, schnieke getunt und voll motorisiert, was aufgrund des fehlenden Arms ebenfalls Sinn ergab, wollte er sich nicht ausschließlich im Kreis drehen.
»Guten Morgen, Herr Pohlbeck, danke, dass Sie mich empfangen.« Geistesgegenwärtig streckte ich meine linke Hand aus, die prompt ergriffen wurde. Wenig überraschend, dass auch die Finger nicht vollzählig waren.
»Autounfall«, er zeigte auf seine Beine, »Motorradunfall«, ein Nicken Richtung rechte Seite, »und ein Malheur im Sägewerk. Die Presse berichtet andauernd von Krisen. Finanz-, Öko-, Glaubenskrisen. Und das auf dem ganzen Globus. In meinem Leben haben sich mehr Katastrophen ereignet als in Afghanistan, Irak und Gazastreifen zusammen.« Er streckte Daumen, Mittel- und Ringfinger in die Luft. »Und wird darüber berichtet? Das interessiert niemanden. Und daher jammere ich auch nicht. Mein letztes Unglück hat mir allerdings schwer zu schaffen gemacht. Der infame Mord an meinem Kaninchen. Jetzt würde mich aber eines interessieren: Was hat ein Buchhalter mit toten Tieren zu schaffen?«
Bis auf die fehlenden Gliedmaßen sah Anton Pohlbeck wie ein typischer Rentner aus: Mitte siebzig, schlotterweißes Haar, Zähne zwecks Reinigung im Kukident-Glas, müde Augen, tadellos rasiert.
»Ich arbeite für Bauer Rexforth in Merfeld, und vorgestern ist eines seiner Kaninchen getötet worden. Da ich mich früher als Privatdetektiv verdingt habe, versuche ich, ein bisschen zu helfen.«
»Ich würde meinen linken Arm dafür geben, den Lumpen zu schnappen.« Er drückte einen der unzähligen Knöpfe an seinem Gefährt. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Ort des Verbrechens.«
Kurz darauf erhielt ich eine komplette Führung durch die Kaninchenstallungen. Die Boxen für die Langohren waren geräumiger als die VIP-Logen im Dortmunder Signal-Iduna-Park. Natürlich war alles vollautomatisch, perfekt abgestimmt auf die Möglichkeiten eines beinlosen Einarmigen.
Die letzte Box war leer, sah man von dem monströsen Kranz mit der Aufschrift »In tiefer Trauer« ab. Darüber hing ein Foto des Verstorbenen, wie er auf Pohlbecks Schoß saß. Das Karnickel trug eine Zorromaske und einen mit einer Feder geschmückten Hut. Alles seiner Größe angepasst. Pohlbeck steckte in einer Wehrmachtsuniform. Ein seltsames Gespann.
»Rudi hat den Karneval geliebt«, erklärte der Rentner, als er meinen verwirrten Blick bemerkte. »Er muss rheinische Gene in sich getragen haben. Wie oft haben wir zusammen Filme geschaut? Bei Antonio Banderas ist er immer ganz unruhig geworden. Der hat ihm gefallen.« Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Und hier ist es passiert, am 26. Februar. Vergiftet, mein armer Rudi, können Sie sich das vorstellen?«
»Haben Sie damals die Polizei verständigt?«
»CIA, Interpol, Scotland Yard, alle waren sie hier«, ereiferte er sich. »Im Ernst: Ein junger Beamter hat sich geschätzte zwei Sekunden Zeit für mich genommen. Ein totes Kaninchen steht halt am Ende der Prioritätenliste. Er hat mir geraten, ein Schloss anzubringen, das war es dann auch schon.«
»Sie sagten soeben, dass Rudi vergiftet worden ist. Kann er nicht auch eines natürlichen Todes gestorben sein?«
»Habe ich zunächst auch vermutet, zum Beispiel an der Chinagrippe. Aber ich habe auf eigene Kosten eine Obduktion durchführen lassen. Rudi wurde ein Nervengift injiziert, den Namen habe ich vergessen.« Er fischte einen Flachmann aus der Seitentasche und nahm einen kräftigen Hieb. »Da die Polizei nichts tat, habe ich die Medien informiert.«
»Ohne Erfolg vermutlich?« Ich lehnte den angebotenen Flachmann ab.
»Fast. Zumindest hat mich zwei Wochen später ein junger Mann kontaktiert, dessen Kaninchen ebenfalls ermordet worden ist. Luis Grosch aus Lette.«
Ich notierte mir die Adresse, die er auswendig kannte. »Gab es weitere Fälle?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Ist Ihnen denn irgendetwas aufgefallen?«
»Ich habe mir das Hirn zermartert, aber nein. Als ich abends das letzte Mal nach Rudi gesehen habe, war er quicklebendig, und am nächsten Morgen mausetot.« Seine Augen wurden wieder feucht.
»Und Rudi ist das einzige Opfer gewesen?«
»Jawoll. Ich
Weitere Kostenlose Bücher