Den Löwen Zum Frass
besessen hatte, unbewusst wieder die Senatorentochter spielte. Das würde ihr hier wenig nützen.
»Marcus Didius ist viel zu stolz, um für Privilegien zu zahlen.« Ich liebte es, wenn Helena so ernst sprach, besonders, wenn es dabei um mich ging. »Er würde es selbst nie erwähnen, aber er ist bitter enttäuscht worden - und das, nachdem ihm Vespasian persönlich angeboten hat, ihn in den Ritterstand zu erheben.«
Caenis hörte mit einem gewissen Unwillen zu, als hielte sie Klagen für schlechtes Benehmen. Zweifellos kannte sie die ganze Geschichte, wusste, was passiert war, als ich mir im Palast meine Belohnung abholen wollte. Vespasian hatte mir den gesellschaftlichen Aufstieg versprochen, aber ich wollte ihn an einem Abend einfordern, als Vespasian nicht in Rom war und Domitian über Gesuche entschied. Mir meines Erfolgs allzu sicher, hatte ich die Sache mit dem Prinzlein durchgefochten und den Preis dafür bezahlt. Ich besaß Beweise gegen Domitian in einer sehr ernsten Angelegenheit, und das wusste er. Nie hatte er gewagt, offen etwas gegen mich zu unternehmen, aber an dem Abend nahm er Rache und lehnte mein Gesuch ab.
Domitian war ein Flegel. Außerdem war er gefährlich, und ich hielt Caenis für klug genug, das zu erkennen. Ob sie allerdings den Familienfrieden mit einer entsprechenden Äußerung gefährden würde, war eine andere Sache. Doch wenn sie tatsächlich bereit war, ihn zu kritisieren, würde sie dann zu meinen Gunsten sprechen?
Caenis musste bereits wissen, was wir wollten. Helena hatte sich hier mit ihr verabredet, und als ehemalige Sekretärin des Hofes hatte sich Caenis natürlich kundig gemacht, bevor sie den Bittstellern gegenübertrat.
Sie antwortete nicht, gab immer noch vor, sich nicht in Staatsangelegenheiten einzumischen.
»Die Enttäuschung hat Marcus nie davon abgehalten, dem Imperium weiter zu dienen.« Helena sprach ohne Bitterkeit, wenn auch mit ernstem Gesicht. »Er hat gefährliche Missionen in den Provinzen durchgeführt, und Ihnen ist sicher bekannt, was er in Britannien, Germanien, Nabatäa und Spanien erreicht hat.
Jetzt möchte er seine Dienste dem Zensus anbieten, wie ich es Ihnen eben beschrieben habe ...«
Das wurde mit einem kühlen, unverbindlichen Nicken bestätigt.
»Die Idee dazu kam mir im Zusammenhang mit Camillus Veras«, erklärte ich. »Helenas Vater ist natürlich ein guter Freund des Kaisers.«
Caenis ging gnädig auf diesen Wink ein. »Camil- lus ist Ihr Patron?« Patronate waren die Schussfäden der römischen Gesellschaft (in der die Kettfäden aus Korruption bestanden). »Und er hat sich für Sie beim Kaiser eingesetzt?«
»Ich wurde nicht dazu erzogen, jemandes Klient zu sein«, erwiderte ich.
»Papa unterstützt Marcus Didius in jeder Weise«, warf Helena ein.
»Das glaube ich gern.«
»Mir scheint«, fuhr Helena fort und wurde heftiger, »dass Marcus ohne formelle Anerkennung genug für das Imperium getan hat.«
»Was meinen Sie, Marcus Didius?«, fragte Caenis, ohne auf Helenas Verärgerung zu achten.
»Ich würde diese Arbeit für den Zensus gern in Angriff nehmen. Sie ist eine Herausforderung, und ich leugne nicht, dass sie sehr lukrativ sein könnte.«
»Ich wusste nicht, dass Vespasian Ihnen exorbitante Honorare zahlt!«
»Hat er nie getan.« Ich grinste. »Aber diesmal ist es was anderes. Nicht der übliche Akkordarbeiterlohn. Ich möchte einen prozentualen Anteil an allen
Einnahmen, die der Staat mit meiner Hilfe zurückbekommt.«
»Darauf wird sich Vespasian nie einlassen«, erklärte Caenis entschieden.
»Denken Sie darüber nach.« Auch ich konnte zäh sein.
»Wieso, um welche Summen geht es hier?«
»Wenn so viele Leute, wie ich vermute, bei ihren Steuererklärungen schummeln, werden wir den Schuldigen enorme Summen abknöpfen. Die einzige Grenze wird meine Ausdauer und Zähigkeit sein.«
»Aber Sie haben doch einen Partner?« Das wusste sie also.
»Er ist noch ungeübt, doch ich bin zuversichtlich.«
»Wer ist der Mann?«
»Nur ein arbeitsloser Ermittlungsbeamter, den meine alte Mutter aus Mitleid unter ihre Fittiche genommen hat.«
»Soso.« Antonia Caenis hatte wahrscheinlich herausgefunden, dass es Anacrites war. Möglicherweise kannte sie ihn. Vielleicht verachtete sie ihn genauso wie ich - oder betrachtete ihn als Vespasians Diener und Verbündeten. Ich hielt ihrem Blick stand.
Plötzlich lächelte sie. Ein offenes, intelligentes Lächeln voller Charakter. Nichts deutete darauf hin, dass sie eine ältere
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