Den Löwen Zum Frass
stand ihm gegenüber, vermutlich noch nicht voll konzentriert. Mit einem lauten Schrei, einem gewaltigen Satz vorwärts und einem kraftvollen Schwerthieb schlug Saturninus Anacrites das Schwert aus der Hand. Jetzt war Anacrites nicht mal mehr bewaffnet.
Anacrites ging direkt auf ihn los. Das musste selbst Saturninus verblüfft haben. Anacrites stürzte sich auf ihn und drängte ihn zurück, Schild gegen Schild. Guter Versuch. Beinahe wie in der Armee. Saturninus hatte wohl nicht damit gerechnet, aber er streckte den Arm aus und hieb mit dem Schwert um die Schilde herum. Anacrites wich seitlich aus, blieb ihm aber auf der Pelle, so dass sie beide herumwirbelten. Von ihrem eigenen Schwung vorwärts getragen und immer noch ineinander verkeilt, schoben sie sich weiter stolpernd im Kreis herum. Wieder und wieder hieb Saturninus mit dem Schwert zu. Anacrites war bereits mit Scillas Blut bedeckt, aber jetzt strömte auch noch sein eigenes an ihm hinunter. Ich konnte es kaum ertragen, der Metzelei zuzusehen.
Anacrites fiel. Sofort hob er den Finger, bat um Gnade. Saturninus trat zurück und schaute verächtlich. In der Menge sah ich ein paar hochgereckte Daumen und flatternde weiße Taschentücher, aber längst nicht genug. Ich wagte es nicht, zu Rutilius zu blicken. Saturninus traf seine eigene Entscheidung. In althergebrachter Weise beugte er sich vor, um den Helm seines Gegners hochzureißen und seine Kehle zu entblößen. Er machte sich bereit, Anacrites den Todesstoß zu geben.
Plötzlich taumelte Saturninus zurück. Sein Schwert fiel in den Sand. Er war von Anacrites zurückgeprallt, beugte sich vornüber und hielt sich den Bauch. Blut schoss unter seinen Fingern hervor. Eine Waffe konnte ich nicht sehen, aber ich erkannte, was da vorging - jedem vertraut, der schon mal eine Rauferei in einer Taverne mitbekommen hat. Satur- ninus hatte ein Messer in die Eingeweide gekriegt.
Anacrites war Oberspion. Keiner hätte einen sauberen Kampf erwarten sollen.
Saturninus rappelte sich verzweifelt auf. Er stolperte vorwärts, fand sein Schwert und fiel auf Anac- rites. Das Schwert schien sich in ihn zu bohren, aber das Messer fand erneut sein Ziel. Dann lagen beide still.
Wieder ging ein Aufschrei durch die Menge, aber selbst sie hatte jetzt genug gesehen. Justinus und ich begaben uns auf wackeligen Beinen, aber so ruhig wie möglich zu den Leichen.
Wir zogen sie auseinander. Lebenszeichen waren nicht zu erkennen. Ich fand das Messer, das Anacri- tes benutzt hatte, und ließ es heimlich in meinem Ärmel verschwinden. Wir machten eine Schau daraus, eine formelle Überprüfung durchzuführen, dann berührte ich sie beide kurz mit dem Hammer und winkte die Träger heran. Saturninus wurde die Ehre einer Tragbahre erwiesen. »Romanus«, als Fremder, wurde mit dem Gesicht nach oben an den Beinen aus der Arena gezogen, wobei die Rückseite seines Helms über den blutigen Sand schleifte. Er konnte den Ring nur als Leiche verlassen. Hätte er den Kampf überlebt, wäre er von der wütenden Menge in Stücke gerissen worden.
Nach dem üblichen Salut für den Schirmherrn ging ich auf das große Tor zu, Justinus direkt hinter mir. Der Lärm in der Arena hatte sich noch nicht gelegt.
Wir betrachteten die grausige Reihe blutiger Leichen. Ich schob die Schnabelmaske hoch. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass meine Beine gleich unter mir einknicken würden.
Justinus sah mich düster an. »Deine Partnerschaften scheinen ziemlich wüst zu enden.«
»Er hat es sich selbst zuzuschreiben. Berate dich stets mit deinem Kollegen - der dich von schierer Blödsinnigkeit abhalten wird.«
Ich zwang mich zu den Leichen hinüberzugehen. Stöhnend kniete ich mich hin. Sanfter, als er es erwartet hätte, nahm ich Anacrites den Helm ab und legte ihn zur Seite. Sein Gesicht war so bleich wie damals, als ich ihn mit eingeschlagenem Schädel gefunden hatte, dem Tode so nahe, wie man nur sein konnte. Und doch hatte er überlebt.
»Ich muss es meiner Mutter schonend beibringen. Wir sollten uns lieber versichern, dass er diesmal wirklich tot ist. Hermes . « Justinus trat mit seinem Schlangenstab vor. »Genau. Gib ihm nur irgendwo einen schnellen Schubs mit deinem heißen Caduceus.«
Zwei blasse graue Augen öffneten sich - sehr weit. Als sich Justinus niederkniete, um die »Leiche« zu berühren, erhob sich ein lauter Entsetzensschrei in den tripolitanischen Himmel.
Ich lächelte resigniert. Anacrites lebte noch.
Weitere Kostenlose Bücher