Den Tod vor Augen - Numbers 2
müssen ihn ins Krankenhaus bringen, damit die Brandwunden auf seinem Rücken versorgt werden, doch er will es nicht zulassen.
»Sie ist da drin«, sagt er mit einem Blick auf das Haus. »Oma ist da drin. Ich gehe nirgendwohin.«
Wenn er könnte, würde er noch mal hineingehen, doch die Flammen sind zu stark und außerdem ist Adam mit seinen Kräften am Ende. Er hat eben erst sein Leben gerettet. Seines und Mias.
Es gibt keine Feuerwehr, um die Flammen zu löschen, nur eine Schar von Nachbarn, die hilflos zusieht, wie das Haus niederbrennt. Einer nach dem andern ziehen sie ab, zurück zu ihren eigenen verwüsteten Häusern oder auf der Suche nach Hilfe. Wir bleiben im Garten – Adam, Marty, Luke, Mia und ich –, sehen zu und warten. Wir warten, bis die Flammen verlöschen und die Rauchsäule allmählich verschwindet. Die Nacht verbringen wir im Freien, während nur Meter von uns entfernt die Asche glüht.
Am Morgen wird die Aussichtslosigkeit unserer Aufgabe deutlich. Das ganze Haus ist zusammengebrochen, geschrumpft zu einem Haufen aus Asche, verkohltem Holz, Eisen … und irgendwo dazwischen menschlichen Knochen. Die meiner Mum sind genauso darunter wie Vals.
Adam starrt und starrt auf die schwelenden Überreste.
»Adam«, sage ich. »Es geht nicht.«
Ich möchte fort. Hilfe für ihn suchen. Über Nacht hat sich die Haut auf seinem Rücken aufgebläht, Blasen gebildet. Er sagt, dass es nicht wehtut, aber es schmerzt mich, ihn anzusehen. Ich verstehe nicht, dass jemand, der so schwer verletzt ist, überhaupt noch am Leben sein kann. Doch ich bin glücklich, dass es so ist. Das Sprichwort »Man weiß erst, was man hat, wenn man es verliert« stimmt genau. Ich bin wirklich kurz davor gewesen, Adam zu verlieren. Ich denke, ich hatte ihn schon verloren. Er ging fort und kam wieder.
»Sie ist tot«, sage ich so behutsam, wie ich nur kann. »Es tut mir leid.«
»Wir können sie nicht dort lassen.«
Plötzlich bin ich zurück in den Carlton Villas und Val starrt in die Trümmer dessen, was einmal ihr Haus war. Sie wollte nicht fort, ich hab sie dazu gebracht. Und jetzt muss ich Adam dazu bewegen, sie zurückzulassen.
»Wir können nichts mehr für sie tun«, sage ich. »Wir müssen einen Arzt finden. Du brauchst einen Arzt.«
»Wieso?«
Ich denke, er fragt nach seinen Verbrennungen. Er selbst kann sie ja nicht sehen, jedenfalls nicht richtig, deshalb weiß er sicher gar nicht, wie schlimm sie sind. Doch dann sagt er: »Wieso ist sie gestorben, Sarah? Wieso hat sich ihre Zahl geändert?«
»Ich weiß es nicht. Val glaubte, du könntest Zahlen verändern. Sie hat es mir gesagt und ich glaube, du hast es getan, Adam. Ich weiß nicht, wie viele Menschen aus London geflohen sind, aber es müssen Hunderte, Tausende gewesen sein. Du hast sie gerettet. Und du hast Mia gerettet.«
Da sieht er mich plötzlich an.
»Ich weiß nichts über die Hunderte und Tausende. Ich weiß nicht, wie ihre Zahlen lauteten, aber bei Mia … bei Mia ist es anders. Du weißt von Mias Zahl?«, fragt er.
»Ja, ich habe sie in deinem Buch gesehen.«
»Ich hatte Unrecht. Die Zahlen, die ich gesehen habe, waren falsch.«
»Nein, du hast sie gesehen, aber sie haben sich verändert. Du hast sie verändert.«
Er schaut weg und Tränen steigen ihm in die Augen.
»Ich wollte Mia retten, aber ich hätte doch nie … nie …«
Er muss den Rest nicht aussprechen. Ich weiß, was er sagen will. Er hätte doch nie seiner Oma Schmerzen bereiten wollen.
»Hab ich es getan, Sarah? Hab ich sie getötet?«
»Nein, natürlich nicht. Du hast Menschen gerettet, du …« Ich rede nicht weiter. Er sieht mich wieder an und sein Blick ist so gequält. Ich möchte das Richtige sagen, alles schönreden. Aber es gibt ein paar Dinge, die niemand schönreden kann. Und es gibt Zeiten, in denen dummes Gerede nichts hilft. »Adam, ich weiß es nicht. Ich versteh nichts von den Zahlen. Ich weiß nicht, welchen Regeln sie folgen. Vielleicht warst du es. Vielleicht war es Val. Sie wollte helfen. Sie hat dich so sehr geliebt, Adam. Sie war eine starke Frau.«
»Ich hab sie gehasst, Sarah. Ich hab sie gehasst … aber ich hab sie auch geliebt. Das hab ich ihr nie gesagt.«
»Das brauchtest du nicht. Sie hat es auch so gewusst.«
»Ja?«
»Natürlich.«
Er schüttelt den Kopf und schaut weg.
»Adam«, sage ich, »du hast Tausende Leben gerettet. Du bist ein Held.«
Er will mich jetzt nicht ansehen. Er antwortet nicht. Aber aus einem Auge fällt eine
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