Denen man nicht vergibt
da drüben, die Obdachlose, die hat mich vor Weldon, diesem kleinen Pisser, gerettet. Ich glaube nicht, dass er mich umgebracht hätte. Wissen Sie, Weldon ist ’n Feigling. Konnte nie einen Mann aus ihm machen. Er kann kein Blut sehen, wollte nicht mal mit mir auf die Jagd. Einmal hab ich versucht, ihn dazu zu zwingen, einen Hirsch auszuweiden, aber er hat sich bloß auf die Schuhe gekotzt und sich dann versteckt. Hat, soweit ich weiß, nie ’ne Waffe in die Hand genommen.«
»Wie wollte er Sie dann töten, Sir?«, fragte Dane. »Ich glaube, das erste Mal hat er Sie niedergeschlagen.«
»Nee, nee, beim ersten Mal bin ich von selber umgekippt. Das letzte Mal hat er’s dann gerade noch fertig gebracht, mich mit dem Rollstuhl umzukippen.«
Der alte Mann fing an zu lachen, und wieder besprühte er sein Kinn dabei mit Spucke und Blut. »Also das ist wirklich eine Schau, so gut hab ich mich schon seit Jahren nicht mehr amüsiert. Nee, ich glaube nicht, dass Weldon mich wirklich getötet hätte. Aber man konnte sehen, dass er’s ehrlich versuchen wollte. Er wollte mich mit ’ner Schnur erwürgen. Das Mädel dort dachte, er hätte ’ne Pistole, aber die hatte er nicht. Würde die Dinger nicht mal mit ’ner Kneifzange anfassen. Ich hab die Schnur gesehen; sie hing ihm aus der Tasche, ’ne gute Schnur, fest und stark, mit so kleinen Knoten drin, wissen Sie? Jawohl, es war bloß ’ne Schnur, weil, wenn man wen stranguliert, gibt’s kein Blut. Aber eklig ist’s trotzdem. Weldon weiß aber nicht, wie eklig es ist, jemanden zu strangulieren - das Würgen und die Augen, mein Gott, die Augen quellen raus, wissen Sie? Und die Angst, die Panik, man kann sie richtig sehen - bis die Leute schließlich akzeptieren, dass sie sterben müssen. Kein schöner Anblick, das kann ich euch versichern. Nee, nee, mit ’ner Schusswaffe is’ es viel sauberer. Das einzige Problem beim Erschießen ist, dass die Augen zu schnell glasig werden.«
Nick schloss die Augen und sagte: »Ich hab Weldon in den Fuß geschossen. Sie haben Recht, das war einfacher.«
»Für ’ne Obdachlose hat sie ganz schön was auf dem Kasten«, sagte Captain DeLoach anerkennend und fing wieder an, Eleanor Rigby zu summen.
»Versuchen Sie uns vorzumachen, dass Sie senil sind, Captain DeLoach?«, fragte Sherlock und legte die Hände sanft auf seine Schultern. Sie begann seine Schultermuskeln zu kneten, oder das, was davon noch übrig war. Der alte Mann war unter dem Flanellhemd nur noch Haut und Knochen.
»Nee, ich singe bloß. Ich war der Einzige aus meiner Generation, der die Beatles mochte.«
Dane sagte: »Aber wieso wollte Weldon Sie umbringen, Sir?«
Der alte Mann schaute Dane an. »Ich glaube, Sie sind wahrscheinlich ein exzellenter Cop, junger Mann. Sie sind leidenschaftlich, haben Durchhaltevermögen und lassen sich nicht ablenken. In Ihrem Job sind das wichtige Voraussetzungen.«
Dane wiederholte: »Wieso will Ihr Sohn Sie umbringen?«
»Der kleine Bettnässer denkt, er wäre in Sicherheit, wenn ich tot bin. Und das wäre er auch.« Der alte Mann war jetzt vollkommen klar, das war offensichtlich. Seine alten Augen blickten Dane mit durchdringender Intelligenz an. Er sagte - und seine Stimme platzte dabei fast vor Stolz: »Weldon muss wissen, dass ich jetzt reden werde, und wieso auch nicht? Ich war der Sheriff, und was hab ich alles getan. Und niemand hatte auch nur die geringste Ahnung. Na ja, man sagt ja auch, dass kein Hund in seinen eigenen Fressnapf scheißt.« Er lachte, ein pfeifendes, staubtrockenes Lachen, bei dem Sherlock erschauderte.
»Captain DeLoach«, sagte sie, »Sie tun doch nur so, als ob Sie senil wären, oder? Das ist alles nur vorgespielt?«
Der alte Mann spottete: »Ich und senil? Kenne ich Sie? Mann, Sie sind ein richtig süßes Ding. Meine Frau sah genauso aus wie Sie. Voller Temperament und Feuer, und sie hatte auch so hübsches rotes Haar, fast so rot wie Blut, könnte man sagen.«
»Ja«, sagte Sherlock langsam, »das könnte man vielleicht, aber ich bezweifle, dass viele Leute es tun würden.
Also, Captain, Sie haben da vorhin doch bloß einen kleinen Scherz gemacht, nicht wahr? Sie wissen ganz genau, wer ich bin. Sie haben bloß so getan, um uns was vorzumachen.«
Er sagte nichts.
Sherlock sagte: »Wie hieß Ihre Frau, Sir?«
»Marie. Ihr Name war Marie. Das ist französisch für die Gottesmutter. Musste immer ein bisschen grinsen deswegen, besonders wenn ich heimkam und noch Blut in den Hautfalten meiner Hand
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