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Denk an unsere Liebe

Denk an unsere Liebe

Titel: Denk an unsere Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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aber – ich pfeife darauf, es ist ja nicht meine Sache, Sie zu reformieren. Also – ich bin wirklich mehr Privatmensch als Kurator hier bei Ihnen. Sind Sie nun zufrieden?“
    „Ja, vorderhand. Aber hören Sie zu, Fünkchen! Sie sagten gestern etwas, worüber ich nachgedacht habe. Sie sagten, daß Sie immer etwas von sich selbst in Ihrer Arbeit geben. Ich glaube Ihnen. Sie schöpfen aus sich selbst. Sie sind gräßlich verschwenderisch. Wie viele Patienten besuchen Sie im Tag? Zehn? Zwanzig? Dreißig? Begreifen Sie nicht, daß Sie verbraucht sein werden, ehe ein Jahr um ist? Sie hören jeden Tag neue Tragödien, Sie nehmen alles in sich auf, Sie tragen die Sorgen anderer Menschen mit. Das können Sie auf die Dauer nicht aushalten. In der Regel hat man genug mit seinen eigenen.“
    „Vorläufig halte ich es schon aus.“
    „Das begreife ich nicht. Können Sie zum Beispiel am Abend ganz abschalten? Können Sie als Privatmensch mit andern Menschen zusammen froh sein? Diese verdammte Krankenhausatmosphäre fängt einen ja derart ein, daß ich es nicht fassen kann, wie ihr, die ihr den ganzen Tag hier herumwerkelt, überhaupt jemals wieder Privatmenschen sein könnt.“
    Toni sah Wolter an und sagte nichts. Es traf, was er sagte. War sie oder er – der berufsmäßige Psychologe? Sie mußte lächeln, als sie an das Wort „berufsmäßig“ dachte.
    „Ja, aber, Herr Wolter, wenn ich das könnte, wenn ich abschalten könnte und anderer Leute Sorgen nicht zu mir hereinließe, dann wäre ich ja –,berufsmäßig’!“
    „Ja, eben. Und in dem Augenblick, da Sie berufsmäßig werden, sind sie null und nix wert als Kurator. Da liegt der Hase im Pfeffer, sehen Sie. Entweder, Sie verbrauchen sich völlig und werden altes Eisen vor der Zeit. Oder, Sie werden abgestumpft und gehn in dieser Tretmühle, bis Sie pensioniert werden mit Abschiedsfest, Blumen und Silberpokal, nachdem Sie fünfzig Jahre lang das Seelenleben der Patienten schneller aus dem einen Ohr hinaus- als in das andere hineingehen ließen.“
    „Gott bewahre! Sie wollen doch nicht, daß ich hier hängenbleibe, bis ich einundachtzig bin!“
    „Sind Sie wirklich schon einunddreißig? Ihr Aussehen widerspricht dem. Aber ernstlich, Fünkchen, hab’ ich nicht recht?“
    Toni antwortete nicht sofort. Sie dachte nach.
    „Ich weiß nicht“, kam es zum Schluß, „ich muß mir das erst durch den Kopf gehen lassen. Sie haben mir jedenfalls etwas zum Denken gegeben. Aber hören Sie, es war nicht beabsichtigt, daß Sie statt meiner Kurator sein sollten. Sie haben eine wunderbare Gabe, die Situation auf den Kopf zu stellen. Um vernünftig zu reden, Sie sagten gestern, Sie möchten einen Stenografen haben. Wenn diese Briefe so wichtig sind, dann verwenden Sie mich – falls sie nicht so vertraulich sind, daß ich sie nicht kennen darf.“
    „Quatsch! Sie haben ja Schweigepflicht. Nein, das ist es nicht. Aber man spannt doch kein Vollblutpferd vor einen Düngerwagen.“
    „Ob sich Ihre Briefe mit einem Düngerwagen vergleichen lassen, kann ich natürlich nicht beurteilen. Aber ich bin kein Vollblutpferd.“
    Toni zog Block und Bleistift aus der Tasche, und nachdem er einige Augenblicke überlegt hatte, diktierte Ingenieur Wolter ein paar kurze, sachliche Geschäftsbriefe. Und mit einem Male verstand Toni den „Individualisten“. Er war der Leiter einer großen Firma, ein Mann, der gewohnt war, Beschlüsse zu fassen und die Konsequenzen zu tragen. Kein Wunder, daß so ein Mann „Individualist“ wurde und sich selbst genug.
    „Jetzt schreibe ich sie auf meiner Maschine im Büro unten ganz rasch ab“, sagte Toni, „und dann bekommen Sie sie heute gegen drei Uhr zur Unterschrift.“
    „Sagen Sie mal, wie lange Arbeitszeit haben Sie eigentlich in dieser Anstalt?“
    „Offiziell bis drei, aber in der Regel bleibe ich bis vier.“
    „Und kommen heim zu einem kalten Mittag?“
    „Ach nein“, lachte Toni. „Mein Mann kommt gewöhnlich nicht vor halb fünf heim, also…“
    „Mann sagten Sie? Haben Sie denn einen Mann?“
    „Ja, das habe ich allerdings.“
    „Zum Teufel“, sagte Ingenieur Wolter.
    „Ich kann nicht“, sagte Toni. Sie sagte es zum vierten Male im Laufe von drei Minuten. Sie sagte es mit einer todmüden Stimme, einer Stimme, müde vom vielen Erklären. Und trotzdem versuchte sie es noch einmal. Sie stand da im Morgenrock, das neue Abendkleid lag fertig ausgebreitet über dem Bett. Die feinen kleinen Goldsandalen hatte sie schon an. Das

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