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Denkanstöße 2013

Denkanstöße 2013

Titel: Denkanstöße 2013 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nelte
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auch Folgendes nicht: Psychologen hatten Probanden Fotos vorgelegt, die am Computer per Bildbearbeitung verfremdet worden waren. Die Versuchspersonen sollten nun angeben, auf welchen Bildern sie sich am ehesten wiedererkannten: Es waren jene Aufnahmen, die sie attraktiver zeigten (fremde Personen erkannten sie hingegen schneller wieder, wenn die Fotos nicht positiv verändert wurden).
    Auch ihre Biografie polieren Menschen gerne auf: Eigene Fehltritte erscheinen meist als weit zurückliegende Ereignisse, gewissermaßen als Jugendsünden, während wir uns an gute Taten so erinnern, als seien sie gerade erst gestern geschehen.
    Dieser Selbstbetrug ist Teil unseres »psychischen Immunsystems« und fällt dem Ich meist nicht einmal auf. »Sich selbst in etwas weicherem Licht zu sehen ist äußerst gesund«, sagt die Persönlichkeitspsychologin Astrid Schütz von der TU Chemnitz. Solche Menschen sind zufriedener, erfolgreicher und beliebter als andere. Der Preis, den sie dafür zahlen: der Mangel an Selbsteinsicht. Dann gibt es aber auch jene Menschen, die ihr Licht ständig unter den Scheffel stellen, die immer nur registrieren, was sie alles nicht schaffen, obwohl ihr Umfeld sie als tatkräftig und erfolgreich einschätzt.
    Um eine realistische Einschätzung von sich zu gewinnen, kann ein jeder sich dem Ich heute auf unterschiedlichste Weise nähern. Längst ist es kein Eingeständnis von Schwäche mehr, sich dabei professioneller Hilfe zu bedienen.
    Familienaufstellungen sind populär geworden, etwa um generationenübergreifende Verhaltensweisen aufzuklären. Die Zahl der Coaches in Deutschland hat sich innerhalb der letzten Jahre vervielfacht; selbst in Unternehmen ist Coaching mittlerweile ein Zeichen der betrieblichen Wertschätzung, nicht einer persönlichen Schwäche. Frauen- und Psychologiezeitschriften befassen sich in immer neuen Titelgeschichten mit der Frage nach dem Ich. Und schließlich die Philosophen: Haben sie sich nicht schon seit Jahrhunderten mit der Frage beschäftigt, was das Ich sei?
    Doch welcher Zugang zum Ich geeignet ist, kann nur jeder für sich entscheiden. Viele Wege verraten etwas über unsere Herkunft, unsere Persönlichkeit, unsere Einstellungen, unsere Wahrnehmung anderer Menschen, über unsere Intelligenz und auch die Gesundheit. In der Zusammenschau öffnen sie einen kaleidoskopartigen Blick auf den Einzelnen.
Wozu hat der Mensch überhaupt ein Ich?
    Könnten wir nicht ebenso gut biologische Automaten sein, solche, die sich ihres Selbst gar nicht bewusst sind? Die meisten anderen Lebewesen auf der Erde kommen ohne das Gefühl, ein Ich zu haben, schließlich auch ganz gut zurecht. Allerdings ist kein anderes Lebewesen so erfolgreich wie der Mensch – und sein Selbst spielt dabei die entscheidende Rolle.
    Manche Forscher sehen das individuelle Erleben als eine Form des Bewusstseins, das erst spät in der Evolution entstanden ist. Theoretisch hätte sich schließlich auch eine einzige optimale Psyche durchsetzen können. Aber keiner der bald sieben Milliarden Menschen hat ein Ich wie der andere. Wir sind Individuen, jeder für sich.
    Evolutionär gesehen haben diese Unterschiede einen großen Vorteil. Wären alle Menschen einer Gruppe gleich, hätte sie es vermutlich nicht weit gebracht. Wäre beispielsweise jeder extrovertiert und mutig, so ließe sich zwar in kurzer Zeit viel bewirken, etwa unbekanntes Territorium entdecken; allerdings auf die Gefahr hin, sich zu überschätzen, zu viel zu riskieren und unterzugehen. Wäre hingegen jeder zurückhaltend und vorsichtig, würde die Gruppe zwar alle Gefahren vermeiden, aber auch nichts Neues wagen, sich nicht weiterentwickeln können. Auf die richtige Mischung kommt es also an.
Was ist das Ich?
    William James, der große Vordenker der modernen Psychologie, bezeichnet als Ich (engl. »I«) das Subjekt des Erkennens. Es ist im Hintergrund des Bewusstseins dauerhaft präsent, ein ständiger Begleiter unseres Erlebens. Was immer ich auch denke, sehe, spüre oder fühle – ich bin mir stets sicher, dass ich es bin, der dies erlebt. Von dieser Instanz unterscheidet James das »Me«, die Objektseite des Selbst, wenn das Ich über sich nachdenkt oder eine Episode aus dem eigenen Leben erinnert und reflektiert. Da beide Begriffe aber ein einheitlich denkendes, fühlendes und handelndes Wesen Mensch

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