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Denkanstöße 2013

Denkanstöße 2013

Titel: Denkanstöße 2013 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nelte
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Klangspiel vorkommt, das sich vermeintlich aus eigenem Antrieb bewegt, beschwört das Fehlen einer Ursache in Form eines bedrohlichen physischen Wesens den Gedanken an ein nichtkörperliches Wesen herauf – etwa an einen Geist.
    Doch auch damit lässt sich meine Reaktion auf die Klangspiele nicht angemessen erklären. Zunächst einmal bleibt meine Fähigkeit zur Mentalisierung völlig unberücksichtigt. Es war nicht einfach der unnahbare, ruhelose Geist meiner Mutter, der da draußen herumspielte, weil sie nichts Besseres zu tun hatte. Vielmehr nutzte sie – zumindest für meinen geheimen, unlogischen Zwilling, der in diesem Fall offenbar mein Wissenschaftlergehirn geentert hatte – die Klangobjekte, um mir eine persönliche Botschaft zu übermitteln. Diese erschien als friedliche Ode, als bedeutsames Wispern über ihre sichere Passage auf die andere Seite. Eigentlich versetzte ich mich in meine tote Mutter; ich bemühte mich mithilfe meiner Fähigkeit zur Mentalisierung, die Gründe für ihr Handeln zu entziffern. Ohne diese Mentalisierung wäre da nur der Klang der Glockenspiele im Wind. Und mit nichts weiter als einem Mechanismus zur Entdeckung einer wirksamen Kraft wäre es nur sie, die die Bewegung verursachte.
    Damit ein Ereignis als bedeutsam wahrgenommen wird beziehungsweise für nicht beobachtbare mentale Zustände stehen kann, die als Ursache vermutet werden, ist die Fähigkeit zur Mentalisierung notwendig. Damit das Ereignis geschieht, muss ein beabsichtigter Zweck, ein intelligenter Grund vorhanden sein. Und das gilt sowohl, wenn wir in unbeseelten natürlichen Vorgängen wie Hurrikanen, Seuchen, Erdbeben und vom Wind bewegten Klangspielen Bedeutung wahrnehmen, als auch dann, wenn wir über das alltägliche soziale Verhalten anderer (lebender) Personen nachdenken. »Was hat das zu bedeuten?«, fragen wir uns sofort. »Warum tut Gott (oder unsere tote Mutter) so etwas?« Besonders aufschlussreich ist, dass die Frage, wie Gott auf das Universum einwirkt – statt einfach, warum er das tut –, im Denken der Menschen so selten auftaucht. Würde beispielsweise bei einem Gläubigen eine Krebserkrankung diagnostiziert, wäre es sehr ungewöhnlich, wenn er darüber nachdächte, wie Gott vorgegangen ist, als er die Zellen dazu brachte, sich in bösartige zu verwandeln. Hat er es mit seinen Händen vollbracht? Und falls er sich der Telepathie bediente: Heißt das, er hat ein physisches Gehirn? Dass solche Fragen nach realer physikalischer Kausalität – wie Gott vorgeht, wenn er seine Absichten in greifbare Vorgänge der physischen Welt umsetzt – so seltsam klingen, verrät, wie unnatürlich sie in psychologischer Hinsicht sind. Jedenfalls bieten sie selten Stoff für Predigten in der Kirche.
    Unser menschlicher Hang, in unerwarteten Naturereignissen bedeutsame Zeichen zu sehen, ist von vielen Glaubenssystemen des New Age mit großem (und profitablem) Erfolg ausgenutzt worden. Eine führende Persönlichkeit im Geschäft mit der »engelzentrierten Therapie« ist beispielsweise die Kalifornierin Doreen Virtue, die bislang eine Dreiviertelmillion Exemplare ihres Buchs Botschaft der Engel (2003, dt. 2009) verkauft hat. Und wer 150 Dollar pro Nase bezahlt, um an einem ihrer ganztägigen Workshops teilnehmen zu dürfen, erfährt von Virtue, dass jeder, der einfach glaubt und sich auf das umgebende eintönige Rauschen des Lebens um ihn herum einstimmt, imstande sein wird, klare Signale von freundlichen Schutzengeln, Feen, Chakren, toten Eltern und Göttinnen aufzunehmen. Ihr Pressesprecher wirbt auch damit, Virtues hellsehender Sohn Charles (der seltsamerweise in Deutschland sein eigenes »Engelzertifizierungsprogramm« durchführt) werde als besonderes Schmankerl »von einem kürzlich entdeckten Erzengel berichten, der dir dabei hilft, in deinem Leben starke und verblüffende Änderungen herbeizuführen«. Verblüffend, das kann man wohl sagen.
    Virtues Bücher sind zumeist Sammlungen unbelegter Anekdoten: begeisterte Zeugnisse, in der ersten Person geschrieben von Leuten, die absolut überzeugt sind, dass unsichtbare Wesen in regelmäßigem Kontakt zu ihnen stehen. In Virtues letztem Buch Signs from Above (2009) – ihr Sohn ist Koautor – schildert eine unentschlossene Frau, wie sie sich dem Rat eines Engels mit einem

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