Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
bezeichnet. Günderrode nähert Dichten und Denken einander an, ein ungemein spannendes Unterfangen.
Das eigentliche Leben spielt sich im Traum ab, so Günderrode in ihrem Gedicht. Im Traum lebt sie in voller Harmonie mit der
Welt und mit den Menschen. Mit Traum ist hier ein bestimmter Bewusstseinszustand gemeint. Es ist jener Zustand, in dem man
den Eindruck hat, alles fließt ineinander: Tag und Nacht, Wachen und Schlafen. Ungeahnte Verbindungen stellen sich her. Hier
zeigt sich Günderrodes Nähe zum romantischen Fühlen und Denken.
In Günderrodes Zeit gibt es verschiedene geistige Strömungen. Neben dem Idealismus und der Aufklärung entsteht im Kontrast
dazu die Romantik. Sie thematisiert genau das, was Günderrode auf der Seele brennt. Die Romantiker leiden an der kalten Rationalität,
daran, immer wach sein zu müssen. Für sie sind Nacht und Traum wirklicher als der Tag und das Wachsein. Das Denken, dasin der Helle des Tages stattfindet, bleibt aus ihrer Sicht an der Oberfläche der Dinge und vermag nicht deren Tiefe auszuloten.
Gerade dieses Gedicht Günderrodes beweist aufs Neue, wie weit sie von Lebensgefühl und Denkungsart eines Mannes wie Savigny
entfernt ist.
Obwohl Günderrode weiß, dass sie es nicht leicht hat mit den Menschen und diese nicht mit ihr, sucht sie neue Kontakte und
findet sie im Hause Brentano. Die Brentanos sind eine alte, wohlhabende Kaufmannsfamilie, die ihre Wurzeln in Tremezzo am
Comer See hat und deren Aufstieg im 15. Jahrhundert begann. Die Familie spaltete sich in zahlreiche Linien auf und hatte immer eine riesige Nachkommenschaft. Seit
1698 ist sie in Frankfurt sesshaft. Der Familiensinn ist ausgeprägt, was nicht immer nur angenehme Seiten hat: Man beäugt
einander genau, einer weiß über die Vorhaben des anderen Bescheid. Zu Günderrodes Zeit spielen die Brentanos nicht nur als
Kaufleute eine bedeutende Rolle, sondern tun sich vor allem in der Schriftstellerei hervor. Einige Mitglieder der Familie,
wie Clemens und Bettine, zeigen extrem eigenwillige und in den Augen ihrer Mitwelt geradezu abenteuerliche Züge.
Einen intensiven Kontakt hat Günderrode zunächst zu Gunda Brentano, die das Gegenteil von Günderrode darstellt: ruhig, bedächtig,
ausgeglichen, ohne umstürzlerische oder emanzipatorische Gedanken. Auch hat Gunda nicht die geringste philosophische Ader.
Ihr Bruder Clemens wünscht ihr einen starken und auf Reinlichkeit bedachten Ehemann, mit dem sie das Bett gern teile und der
ihr jedes Jahr ein Kindlein schenke. Darin nämlich sind sich bis auf Bettine alle Brentanos einig: Das Glück der Frau liegt
einzig in ihrer Liebe zu Mann und Kindern.Gunda wird diesem Anspruch genügen und ihrem Friedrich Carl von Savigny fünf Kinder gebären.
Warum aber hält Günderrode den Kontakt zu einer Frau, die ihr im Wesen derart fremd ist? Sie hat einfach das Bedürfnis, sich
auszusprechen, und wenn es nur schriftlich ist. Günderrode ist eine begeisterte Briefschreiberin, worin sie sich nicht sehr
unterscheidet von anderen geistig regen Frauen ihrer Zeit, für die Briefe häufig das einzige Mittel sind, sich auszudrücken
und geistige Kontakte zu pflegen. Das Reisen mit der Kutsche auf holperigen Wegen ist so beschwerlich, dass Freunde auf briefliche
Mitteilungen angewiesen sind, um überhaupt miteinander kommunizieren zu können. Und Frauen dürfen ihr Haus zumeist nur in
Begleitung und nicht ohne einen handfesten Grund verlassen. In der Zeit der Romantik haben die Briefe von geistreichen Frauen
häufig den Charakter literarischer und philosophischer Zeugnisse, so kunstvoll und eigenwillig sind sie gestaltet. Frauen
des Kleinbürgertums und der Unterschicht sind allerdings auch hiervon ausgeschlossen, weil sie nur schlecht oder gar nicht
schreiben können. Was Günderrodes Briefe darüber hinaus kennzeichnet, ist der Wille, authentisch zu sein. Was sie aufschreibt
und anderen zum Lesen gibt, muss ganz und gar aus ihr selbst kommen.
Im Sommer 1801 schreibt sie an Gunda: »Es gehört zu dem Leben meiner Seele, dass mich irgendeine Idee begeistre; es ist auch
oft der Fall; doch muss es immer etwas Neues sein, denn ich trinke so unmäßig an dem Nektarbecher, bis ich ihn in mich geschlürft
habe; und wenn er denn leer ist, das ist unerträglich.« 11
Zufrieden ist Günderrode mit der Art der Beziehung zwischen ihr und Gunda allerdings nicht. Sie kommt ihr einseitig vor, denn
von Gunda kommt zu wenig
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