Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
nach einer Idee, der sie ihr ganzes Leben opfern könnte.
Das, was sie an inneren Empfindungen erlebt, widerspricht oft dem, was sie in Gedanken entwirft. All das aber können die Freunde
schwer nachempfinden.
Dennoch hängt sie an den Menschen, braucht Freundschaft, die Nähe vertrauter Gesprächspartner. Manchmal empfängt sie Besuch,
aber sehr selten, weil das im Stift nicht gern gesehen wird. Häufig ist sie auch mit den Schwestern zusammen. Vor allem wenn
ihre Hilfe zu Hause gebraucht wird, eilt sie herbei. Sie lebt eine Art Doppelexistenz: einerseits das Leben draußen, in der
Welt des Alltags, die Versuche, sich Menschen zu Freunden zu machen, die Enge des Stifts, das kühle Verhältnis zur Mutter,
andererseits die verschlungenen Wege ihres Geistes. Im Nachlass hat man ein philosophisches Gedicht gefunden,das Karolines Haltung gegenüber der eigenen Zeit und den Menschen in ihr verdeutlicht:
Vorzeit, und neue Zeit
Ein schmahler, rauher Pfad schien sonst die Erde.
Und auf den Bergen glänzt der Himmel über ihr,
Ein Abgrund ihr zur Seite war die Hölle,
Und Pfade führten in den Himmel, und zur Hölle.
Doch alles ist ganz anders nun geworden,
Der Himmel ist gestürzt, der Abgrund ausgefüllt,
Und mit Vernunft bedekt, und sehr bequem zum gehen.
Des Glaubens Höhen sind nun demolieret.
Und auf der flachen Erde schreitet der Verstand,
Und misset alles aus, nach Klafter und nach Schuen .
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Einen strengen Blick wirft Günderrode hier auf die eigene Zeit, in der ihrer Meinung nach vor allem der kalte, rechnende Verstand
herrscht. Savigny mag ihr ein Beispiel dafür sein. Sie übt Kritik an den Auswüchsen der Aufklärung. Sie hat Immanuel Kant
gelesen und weiß, was man mit den Kräften des logischen Denkens alles anstellen kann. Wunderbare Gedankensysteme kann man
erbauen, Gebäude, in denen eines sich auf das andere bezieht, in denen alles seinen unverrückbaren Platz hat. Obwohl Günderrode
der Philosophie einen großen Raum beimisst, hegt sie ihre Zweifel gegenüber dem Denken in abgeschlossenen Systemen. Das erstaunt,
denn es widerspricht dem, was sie gelernt hat. Hier kommt eine eigenständige geistige Entwicklung zum Tragen: Günderrode ist
ihrer Zeit voraus, denn erst im 19. Jahrhundert wird die Kritik am systematischenPhilosophieren in großem Ausmaß geübt werden. Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard (1813 – 1855) ist das beste Beispiel dafür. Der große Denker Hegel hat seiner Meinung nach zwar mit seinem Denken ein wunderbares
Gebäude erstellt, in dem nichts fehlt, alles an seinem Platz steht. Nur der Mensch Hegel, der bleibt draußen und findet keinen
Platz im Haus. Er hat einen Palast aus Eis geschaffen, in dem ein Mensch nicht leben kann.
Günderrode geht es ähnlich bei der Beurteilung des Denkens in Systemen. Für sie muss Philosophie den ganzen Menschen erfassen
können, und da man Menschen logisch niemals ganz begreifen kann, bedeutet das die Einbeziehung von Widersprüchen und Ungereimtheiten
ins Denken. Die Beziehung zu Savigny ist in dieser Hinsicht hilfreich. In ihm erlebt sie einen Menschen, dem das rationale
Durchorganisieren des Lebens wichtiger ist als die spontane Lebendigkeit. Immer wieder versucht Günderrode, zu einem vielleicht
verborgenen Kern in diesem Mann vorzustoßen. So schickt sie ihm 1804, nachdem sie die Hoffnung auf die Ehe mit ihm längst
aufgegeben hat, ein Liebesgedicht.
Der Kuß im Traume
Es hat ein Kuß mir Leben eingehaucht,
Gestillet meines Busens tiefstes Schmachten,
Komm – , Dunkelheit! mich traulich zu umnachten,
Daß neue Wonne meine Lippe saugt.
In Träume war solch Leben eingetaucht,
Drum leb’ ich, ewig Träume zu betrachten,
Kann aller andern Freuden Glanz verachten,
Weil nur die Nacht so süßen Balsam haucht.
Der Tag ist karg an liebesüßen Wonnen,
Es schmerzt mich seines Lichtes eitles Prangen
Und mich verzehren seiner Sonne Gluthen.
Drum birg’dich Aug’dem Glanze irrd’scher Sonnen!
Hüll’dich in Nacht, sie stillet dein Verlangen
Und heilt den Schmerz, wie Lethes kühle Fluthen .
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Karoline von Günderrode: dichtende Philosophin oder philosophierende Dichterin? Egal, worauf man den Schwerpunkt legt, entscheidend
ist, dass Günderrode auch hier ein Terrain betritt, das neu ist. Von der Antike bis ins 18. Jahrhundert wurde Dichtung von den Philosophen eher gemieden, häufig sogar regelrecht schlechtgemacht, als Gaukelei und Lügenkunst
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