Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
Spiel des Wirklichen sind wir einbezogen, wir können uns nicht
heraushalten. Wir helfen mit, dass sich eine bestimmte Struktur von Wirklichkeit offenbart. Wir handeln, analysieren, träumen
und halten das, was sich uns bietet, für die Wirklichkeit. Wir nehmen mit den Sinnen wahr und leben mit Begrifflichkeiten.
Genau das aber ist auch ein Punkt, der Petra Gehring interessiert: Wie kommt es zu bestimmten Begriffen, wie hängen sie zusammen
mit den Erscheinungen und wie entwickeln sie sich im historischen Kontext?
Petra Gehrings Augen beginnen zu leuchten, wenn sie von ihrer Mitarbeit am
Historischen Wörterbuch der Philosophie
spricht. So hat sie zum Beispiel im Rahmen dieser Tätigkeit das Begriffspaar
Ursache/Wirkung
im Bereich vonRechtswissenschaft, Sozialwissenschaften und Geschichtswissenschaft untersucht. Ein anderer Begriff, dem sie sich zuwendet,
ist der der
Verkettung
. »Der Terminus < V.> generalisiert die Idee der fest angelegten Verknüpfung diskreter Elemente zu einem Zusammenhang,
primär der Abfolge, Reihe oder Serie.« 5 Die Geschichte eines solchen Begriffs nachzuvollziehen, erweist sich für Gehring als ungemein spannendes Unterfangen. Man
lernt viel über die Denkweisen innerhalb verschiedener Epochen, wenn auch in sehr verkürzter Form. Man erfährt auf komprimierte
Weise Grundsätzliches über einzelne Philosophen. Wie haben zum Beispiel Kant, Leibniz oder Husserl den Begriff der Verkettung
verwendet? Was verändert sich im Lauf der Zeit bezüglich des Verstehens eines solchen Begriffs? Welcher Unterschied besteht
genau zwischen Verkettung und Verknüpfung? Dass solche Fragen interessant sind und ganz neue Horizonte eröffnen, zeigt das
Historische Wörterbuch der Philosophie.
Petra Gehring macht es Freude, in die Geschichte philosophischer Begriffe hinabzusteigen, ihre Entwicklung zu verfolgen und
dadurch neue Einsichten über den Wandel in der Gestalt der Wirklichkeit zu gewinnen. Begriffe nämlich sind ja nicht einfach
abstrakte, starre Formeln, blasse Hülsen, in denen sich die Wirklichkeit versteckt. Begriffe sind sogar eine besonders konzentrierte,
intensive Form der Wirklichkeit. Sie fordern auch immer heraus, zu untersuchen, was sie auslassen, was in ihnen vielleicht
nicht gesagt wird, was sie verschweigen. Wenn zur Analyse von Begriffen das Beobachten der direkt sinnlich gegebenen Wirklichkeit
kommt, wird eine neue Qualität hinzugefügt. Petra Gehrings Denken spielt sich nicht im luftleeren Raum der Abstraktion ab,
sondern in der Konfrontation mit der täglich neu sichbietenden Realität, mit dem, was so oder so und immer wieder anders »Leben« heißt. Darin liegt Gehrings »Unruhe« begründet.
Immer neu wird ihr Denken affiziert von Themen, von Realitäten, die nicht übergangen sein wollen, die sich aufdrängen, die
bedacht sein müssen. Für Gehring ist Philosophie eine positiv besetzte Unruhe des Denkens, ein permanenter Spaziergang im
Gelände dessen, was als wirklich gilt. An ein Ende kommt eine solche Unruhe nicht, eine endgültige Ruhe kann es nicht geben,
denn immer scheint Neues auf, das den Anspruch hat, mithineingenommen zu werden in die philosophische Auseinandersetzung.
So hat Gehring im Wintersemester 2007 / 08 eine Vorlesung zum Thema
Theorien des Todes und der Endlichkeit
gehalten. 6 Wie wurden und werden heute Tod, Sterben und Endlichkeit in der philosophischen Theorie gedacht und in der Praxis gelebt?
Verändert das Nachdenken über den Tod unser Verhältnis zu ihm? Gerade bei diesem Thema zeigt sich die enge Verknüpfung von
Lebenspraxis und Denken. In ihrer Vorlesung nimmt Gehring die StudentInnen auf eine Reise mit, die nicht nur Bildungserlebnis
ist, sondern existenzielle Herausforderung trotz des Abstandes, den die Theorie schafft. »Abstand ist immer gut«, sagt Gehring
in der ersten, einleitenden Sitzung lachend, aber Abstand schließt Beteiligtsein und existenzielle Betroffenheit nicht aus.
Bis 2001 hat Petra Gehring in Wohngemeinschaften gelebt, auch das ist ungewöhnlich für eine Wissenschaftlerin und zeigt, wie
wichtig ihr das Gespräch und das Bezogensein auf andere Menschen sind. In einer Wohngemeinschaft kann man einander schwerlich
ausweichen. Meistens ist es die Küche, in der sich alle irgendwann am Tagtreffen. Eine totale Unabhängigkeit ist nicht möglich, gegenseitige Rücksicht ist eine Selbstverständlichkeit. Zu viel Individualismus
schadet dem Wohnklima. Genau diesen
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