Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
Zuständigkeit des Gesetzgebers fallen sollten. Er verknüpfte diese beiden Reflexionsebenen mit
einer bestimmten Konzeptionvon der Aufgabe staatlicher Planung. Diese Aufgabebesteht seiner Ansicht nach darin, jedem Bürger die materiellen, institutionellen und pädagogischen Bedingungen zur Verfügung
zu stellen, die ihm einen Zugang zum guten menschlichen Leben eröffnen und ihn in die Lage versetzen, sich für ein gutes Leben
und Handeln zu entscheiden.« 24
So ist es für Aristoteles zum Beispiel notwendig, dass alle Menschen genügend Wasser, Essen und gesunde Luft haben. Er tritt
in der
Politik
für gemeinsame Mahlzeiten ein. Damit auch arme Teile der Bevölkerung daran teilhaben können, plädiert Aristoteles für die
Aufteilung von Grund und Boden in Gemeinbesitz und in Privatbesitz. Vom Gemeinbesitz soll wiederum ein Teil für die Mittel
zur Bestreitung gemeinsamer Mahlzeiten, die ja auch eine wichtige soziale Funktion haben, bereitgehalten werden. Ein gewisses
Maß an Privateigentum sollte es geben, aber nur so viel, dass genug bleibt für die Armen. Der Staat hat dafür Sorge zu tragen,
dass dies funktioniert und es niemandem verwehrt ist, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. »Aristoteles verrät uns nicht,
wie der Gesetzgeber dieses Ziel erreichen kann. Klar ist nur, im aristotelischen Staat ist alles so geregelt, dass jeder Bürger
zu jedem Zeitpunkt mit dem Lebensnotwendigen versorgt ist. Selbst dort, wo Privateigentum zugelassen ist, hat es nur vorläufigen
Charakter und muss zurückstehen, wenn Bedürftigkeit geltend gemacht wird. Diese komplexe Lösung wird mit der Begründung verteidigt,
dass sie sowohl der Gerechtigkeit als auch der Gleichheit diene.« 25
Dass sich Aristoteles so stark auf die Lebenspraxis bezogen hat, schätzt Martha Nussbaum besonders an ihm. Es geht nicht darum,
ein ideales Leben zu entwerfen, sondern darum, auszugehen von den Fähigkeiten und Möglichkeiten der Menschen. Die »praktische
Vernunft« steht imMittelpunkt und ist eng verknüpft mit dem Sinn des Menschen für eine Verbundenheit mit anderen. Damit das für alle gelten
kann, müsse der Staat die nötigen Voraussetzungen schaffen. Die Menschen »sollen sich in jeder Phase nicht wie Mitläufer,
sondern wie aktive Teilnehmer fühlen«. 26 Menschen müssen jederzeit in der Lage sein können, ihre Entscheidungsfähigkeit zu üben. Nussbaum sieht in der Philosophie
des Aristoteles wichtige Ansätze für ihr eigenes Denken, obwohl er Sklaven und Frauen aus seinem Gerechtigkeitsmodell ausgeschlossen
hatte. Sie will damit auch zeigen, dass man eine Nähe zu einzelnen Philosophien herstellen kann, ohne sie in jedem Punkt zu
bejahen. Bei Aristoteles findet sie die für sich selbst zentrale These vertreten, dass man eine Vorstellung von den Grundfähigkeiten
und Bedürfnissen der Menschen haben muss, wenn man eine Ethik entwerfen möchte.
In Nussbaums Philosophie steht die Frage nach dem Menschen im Mittelpunkt. Diese Frage verbindet sich bei ihr mit der Frage
nach einem guten Leben für alle Menschen. Sie hält Ausschau nach den Fähigkeiten des Menschen, die durch die Epochen und in
allen Kulturen erhalten und gepflegt sein wollen. Zur Veranschaulichung ihrer Thesen zieht sie immer wieder Stellen aus der
Literatur heran. Nussbaum ist durch und durch Ethikerin. Die Moralphilosophie ist und bleibt ihr oberstes Anliegen. Andere
Gebiete der Philosophie wie etwa Erkenntnistheorie oder Begriffsgeschichte werden von ihr nur ganz am Rande behandelt. Nussbaum
äußert sich öffentlich zu aktuellen Fragen aus Gesellschaft und Politik und steht damit in der Tradition von Simone de Beauvoir,
Simone Weil und Hannah Arendt.
IM WINTERSEMESTER 2007 / 08 STEHT AUF DEM Vorlesungsplan der Philosophischen Fakultät an der Technischen Universität Darmstadt eine Vorlesung von Professorin
Petra Gehring mit dem Titel
Hegel denken
. Am Anfang der ersten Sitzung begrüßt Frau Gehring die Studentinnen und Studenten und betont, wie sehr sie sich freue, sie
nach einem Forschungsfreisemester wiederzusehen. Sie leide sozusagen unter Entzugserscheinungen. Dann spricht sie von der
»Zumutung«, die es bedeuten könne, sich ein ganzes Semester nur mit Hegel zu beschäftigen. Allerdings habe sie der Vorlesung
bewusst nicht den Titel
Georg Friedrich Wilhelm Hegel
gegeben, sondern
Hegel denken,
womit sie den Schwerpunkt auf die Tätigkeit legen wolle. Auf die Praxis komme
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