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Denken hilft - frische Ideen für Gedächtnis und Kreativität

Denken hilft - frische Ideen für Gedächtnis und Kreativität

Titel: Denken hilft - frische Ideen für Gedächtnis und Kreativität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wolff
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ihr Leben lang in roten Turnschuhen rumzulaufen: Meinen Segen haben Sie. Und wenn Sie jemand fragt: »Macht das irgendeinen Sinn?«, dann antworten Sie einfach: »Ja, genau den!«
    Das Ortsschild von Stockelsdorf
Nur um kurz die Frage zu beantworten: »Wie kommt man denn auf Rückwärtssprechen?«

    Wie immer kurz vor 14.00 Uhr rollte mein Schulbus durch die Fackenburger Allee von Lübeck nach Stockelsdorf. Im Bus wurden Klebebilder der Fußball-WM 1974 getauscht. Beckenbauer und Breitner standen hoch im Kurs, und die Mädels lasen Hanni und Nanni. Vor dem Bus wollten zwei Autos nach links auf die Aral-Tankstelle abbiegen, die mehr Umsatz mit Schlagzeilen zur Watergate-Affäre machte als mit dem Verkauf von Benzin. Erstaunlich, dass der Schulbus so kurz nach der Ölkrise überhaupt schon wieder fuhr. Durch die Abbieger jedenfalls kam der Bus ziemlich genau am Ortsschild von Stockelsdorf zum Stehen. Und weil ich kein Fußball-Sammelalbum besaß und Hanni und Nanni schon durch hatte, schaute ich einfach aus dem Fenster und träumte. Das gelbe Ortsschild mit den großen schwarzen Buchstaben schob sich vor meine Nasenspitze. Und weil ich das Schild von links nach rechts schon
kannte, fing ich an, von rechts nach links zu lesen. Buchstabe für Buchstabe: F, R, O, D, S, L, E, K, C, O, T, S. Aus Stockelsdorf wurde – rückwärtsgelesen – Frodslekcots. Diese Tatsache veränderte mein Leben ungefähr so dramatisch wie Watergate das Leben von Richard Nixon.
    Â 
    Frodslekcots, das klang einfach wunderbar, das klang wie eine ordinäre Übersetzung von Räuber Hotzenplotz ins Französische. Was für ein prächtiges Wort! An diesem Tag verwandelte sich das behütete Stockelsdorf meiner Kindheit in eine bizarre Welt der Wortspielerei. Die Rückseite der Cornflakes-Packung, Werbeplakate im Schaufenster, die Hanni-und-Nanni-Bücher meiner Schwestern: Alles wurde rückwärtsgelesen, und überall tauchten neue Bedeutungen auf. Aus Marlboro wurde »Oroblram«, und aus »Kaffee« wurde »Eeffak«. Zum Trainieren meiner neuen Sprache schrieb ich Wörter und Sätze wie »Guten Tag« und »Ich will Brausepulver« mit einem Kreidestein auf den Asphalt. Das war zu einer Zeit, als Kinder noch mit Kreidesteinen auf den Asphalt malen konnten, ohne in Lebensgefahr zu geraten. Jedenfalls stand ich in der Dürerstraße, starrte auf den Boden und sagte »Revlupesuarb lliw hci« und »Gat netug«. Die Nachbarn waren irritiert, aber mein Wortschatz wuchs und wuchs. Man muss Prioritäten setzen. Nach einer Weile fing ich an, mir die Wörter und Sätze nur noch geschrieben vorzustellen, geschrieben mit einem mentalen Kreidestein auf imaginärem Asphalt. So konnte ich meine Vokabeln im Geiste übersetzen. Und so mit acht oder neun Jahren beschloss ich, nur noch rückwärtszusprechen, kein Wort mehr vorwärts. Als meine Eltern das merkten, war es bereits zu spät …
    Â 
    Ein schwarzer Tag in meinem Leben war der Tag, an dem ich zum ersten Mal ein Tonstudio betrat. Das war Ende der 80er-Jahre im Rahmen meiner Ausbildung in der Werbung. Da gab es noch keinen Windows Audio Recorder, der Sprache mal
eben digital umdrehen konnte. Da musste das Band noch von Hand gewendet werden. Ich hatte ein paar Sätze rückwärts aufs Band gesprochen und war wahnsinnig neugierig, wie das andersrum klingen würde. Der Tonmeister wendete das Band. Und? Katastrophe! Kein Wort zu verstehen. Nicht mal Otto klang andersrum wie Otto. Ich hatte völlig unterschätzt, wie wenig das gesprochene Wort mit dem geschriebenen Wort zu tun hat. In Otto zum Beispiel stecken ein langes und ein kurzes »O«. Und das »T« ist ein sehr komplizierter, explosiver Laut. Sprechen Sie diesen Laut mal laut. Bitte wirklich mal machen. Da pressen Sie die Zunge vorne zwischen die Zahnleisten, erzeugen einen wahnsinnigen Druck, öffnen auf Schlag den Mund, ziehen die Zunge zurück, und das »T« knallt nach vorne raus. Rückwärts vom Band abgespielt klingt das nicht die Bohne wie ein »T«. Wie gesagt, es war kein schöner Tag im Studio. Aber ich ging gestärkt aus der Krise. Ich dachte mir: jetzt erst recht. Dann lernst du eben all diese absurden Laute. Dann schließt du dich eben ein paar Jahre mit einem Tonband ins stille Kämmerlein ein, und zwar so lange, bis Otto auch andersrum wie Otto klingt. Ich habe das

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