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Denken hilft zwar, nutzt aber nichts

Denken hilft zwar, nutzt aber nichts

Titel: Denken hilft zwar, nutzt aber nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Ariely
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nicht«, entgegnete Mike lachend. »Der ist sterilisiert. Aber wir hätten gerne, dass er sauber bleibt.«
    Roy sollte sich also durch eine Reihe von erotischen Bildern auf dem Laptop klicken, um sich in den erforderlichen Erregungszustand zu bringen, und dann dieselben Fragen beantworten wie beim ersten Mal.
     
    Innerhalb von drei Monaten hatten etliche vortreffliche Berkeley-Studenten eine Reihe von Sitzungen in unterschiedlicher Reihenfolge absolviert. In der Versuchsrunde, bei der sie sich in einem »kalten«, emotionslosen Zustand befanden, gaben sie eine Prognose darüber ab, wie ihre sexuellen undmoralischen Entscheidungen im erregten Zustand ausfallen würden. Bei der Versuchsrunde im erregten Zustand gaben sie ebenfalls eine Einschätzung ab, wie ihre Entscheidungen ausfallen würden – da sie sich dieses Mal jedoch tatsächlich im Zustand höchster sexueller Begierde befanden, traten ihre Vorlieben in diesem Zustand vermutlich klarer hervor. Die Schlussfolgerungen, die sich nach Abschluss unserer Experimente ergaben, waren in sich schlüssig und eindeutig – äußerst eindeutig, erschreckend eindeutig.
    Unsere aufgeweckten jungen Probanden beantworteten die Fragen – einmal im erregten, einmal im »kalten« Zustand – ausnahmslos sehr unterschiedlich. Bei allen 19 Fragen zu sexuellen Vorlieben gaben Roy und alle anderen Versuchsteilnehmer im erregten Zustand beinahe doppelt so häufig (um 72 Prozent mehr) wie in »kaltem« Zustand vorhergesagt an, dass sie sich auf verschiedene, mehr oder weniger absonderliche sexuelle Praktiken einlassen würden. Beispielsweise war der Gedanke an einen sexuellen Kontakt mit Tieren im erregten Zustand mehr als doppelt so reizvoll wie im »kalten« Zustand. Bei den fünf Fragen zu ihrer Neigung, sich zu unmoralischem Handeln hinreißen zu lassen, lag die im erregten Zustand prognostizierte Neigung mehr als doppelt so hoch (136 Prozent) wie im »kalten« Zustand. Ähnlich sah es bei dem Fragenkomplex hinsichtlich der Benutzung von Kondomen aus. Trotz aller ihnen seit Jahren eingehämmerten Warnungen, wie wichtig Kondome sind, gaben sie im erregten Zustand häufiger (um 25 Prozent) als im »kalten« Zustand an, dass sie auf Kondome verzichten würden. Wieder hatten sie den Einfluss sexueller Erregung auf ihr Verhalten in Sachen Safer Sex falsch eingeschätzt.
    Die Ergebnisse zeigten, dass Roy und die anderen Probanden Frauen mit Respekt begegneten, wenn sie im »kalten«,rationalen, vom Über-Ich gesteuerten Zustand waren: Sie interessierten sich nicht besonders für die absonderlichen sexuellen Praktiken, zu denen wir sie befragten; sie nahmen durchweg einen hochmoralischen Standpunkt ein; und sie gingen davon aus, dass sie immer ein Kondom benutzen würden. Sie meinten, sich selbst und ihre Vorlieben zu kennen und zu wissen, wozu sie fähig waren. Wie sich herausstellte, unterschätzten sie ihre Reaktionen vollkommen.
    Egal, wie wir die Zahlen drehten und wendeten: Es war eindeutig, dass sich die Probanden erheblich falsch einschätzten. In erregtem Zustand gaben sie durch die Bank zu erkennen, dass sie sich ihres Verhaltens nicht bewusst waren. Vorbeugung, Schutz, Zurückhaltung und Moral waren vom Radarschirm verschwunden. Die Studenten waren nicht in der Lage, vorherzusehen, in welchem Maß sexuelle Erregung sie verändern würde. *
     
    Stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Morgens auf, schauen in den Spiegel und sehen – ein fremdes Wesen, wenn auch in menschlicher Gestalt. Sie sind hässlicher, kleiner, stärker behaart; Ihre Lippen sind schmaler, Ihre Schneidezähne länger, Ihre Nägel schmutzig, Ihr Gesicht flacher. Zwei kalte Reptilienaugen blicken Ihnen entgegen. Es drängt Sie, etwas zu zerschmettern, jemandem Gewalt anzutun. Sie sind nicht mehr Sie selbst. Sie sind ein Ungeheuer.
    Bedrängt von dieser alptraumhaften Vision, schrie Robert Louis Stevenson in den frühen Morgenstunden eines Herbsttagesdes Jahres 1885 im Schlaf gequält auf. Nachdem seine Frau ihn aufgeweckt hatte, setzte er sich hin und begann mit einer »feinen Schauergeschichte«, wie er sagte – Dr. Jekyll und Mr. Hyde –, in der er schrieb: »In Wahrheit ist der Mensch ein Doppelwesen.« Das Buch wurde über Nacht zu einem großen Erfolg, und das war kein Wunder. Die Geschichte nahm die Fantasie der Viktorianer gefangen, sie waren fasziniert von der Spaltung zwischen repressiver Korrektheit – verkörpert in dem freundlichen Arzt Dr. Jekyll – und unkontrollierbaren Trieben,

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