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Denken hilft zwar, nutzt aber nichts

Denken hilft zwar, nutzt aber nichts

Titel: Denken hilft zwar, nutzt aber nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Ariely
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personifiziert in dem mordgierigen Mr. Hyde. Dr. Jekyll glaubt zu wissen, wie er sich beherrschen kann. Doch dann gewinnt Mr. Hyde die Oberhand …
    Eine fantasievolle und beängstigende Geschichte, aber im Grunde nichts Neues. Wir alle wissen, dass der Mensch im rationalen und irrationalen Zustand anders funktioniert. Lange vor Sophokles’
König Ödipus
und Shakespeares
Macbeth
war der innere Kampf zwischen Gut und Böse Gegenstand von Mythen, Religionen und Literatur. Nach Freudscher Sichtweise birgt jeder von uns ein dunkles Ich in sich, das Es – ein Tier, das dem Über-Ich urplötzlich die Kontrolle entreißen kann. Dann steuert der freundliche, nette Nachbar in einem Anfall von Aggression seinen Wagen auf einmal mit Vollgas in einen Sattelschlepper. Ein Teenager schnappt sich eine Waffe und erschießt seine Freunde. Ein Priester vergewaltigt einen kleinen Jungen. Alle diese im Normalzustand guten Menschen meinen, sich selbst zu kennen. Aber wenn die Leidenschaften, die Triebe hochkochen, legt sich innerlich plötzlich ein Schalter um, und alles wird anders.
    Unser Experiment in Berkeley offenbarte nicht nur die alte Geschichte, dass wir alle etwas von Jekyll und Hyde in uns haben, sondern auch etwas Neues – dass wir alle, unabhängig davon, wie »gut« wir sind, den Einfluss starker Gefühle aufunser Verhalten unterschätzen. Unsere Probanden täuschten sich ausnahmslos hinsichtlich der eigenen Person. Selbst der intelligenteste, rationalste Mensch scheint unter dem Einfluss starker Emotionen ein vollkommen anderer zu sein, als er zuvor glaubte. Und die Leute schätzen sich nicht nur falsch ein – sie schätzen sich extrem falsch ein.
    Dem Ergebnis unserer Studie zufolge ist Roy die meiste Zeit ein kluger, anständiger, vernünftiger, freundlicher und vertrauenswürdiger Mensch. Die Frontalhirnlappen funktionieren einwandfrei, der Manager im Kopf kontrolliert sein Verhalten. Ist er jedoch sexuell erregt und das Reptilienhirn gewinnt die Oberhand, erkennt er sich selbst nicht mehr wieder.
    Roy glaubt zu wissen, wie er sich im erregten Zustand verhalten wird, aber sein Wissen ist begrenzt. Er weiß nicht, dass er vielleicht alle Vorsicht in den Wind schlägt, wenn sich bei ihm die sexuellen Triebkräfte in den Vordergrund drängen. Dann riskiert er möglicherweise um der sexuellen Befriedigung willen eine Geschlechtskrankheit oder eine ungewollte Schwangerschaft. Wenn die blinde Leidenschaft ihn beherrscht, verwischen seine Emotionen die Grenze zwischen dem, was richtig und was falsch ist. Eigentlich hat er überhaupt keine Ahnung, was für ein wildes Tier in ihm steckt, denn wenn er im einen Zustand sein Verhalten im anderen vorherzusagen versucht, liegt er ziemlich oft falsch.
    Zudem ließ unsere Studie erkennen, dass sich unser mangelndes Wissen über uns selbst in einem anderen emotionalen Zustand durch Erfahrung offenbar nicht verbessert, selbst wenn wir so viel Zeit in diesem Zustand verbringen wie unsere Berkeley-Studenten in sexueller Erregung. Der Zustand sexueller Erregung ist uns vertraut, sehr menschlich und vollkommen alltäglich. Dennoch unterschätzen wir alle regel mäßig, inwelchem Maß sexuelle Erregung unser Über-Ich negiert und dann Emotionen unser Verhalten steuern können.
     
    Was geschieht also, wenn unser irrationales Ich in einem emotionalen Umfeld lebendig wird, das wir für vertraut halten, das uns in Wirklichkeit aber unvertraut ist? Wenn wir uns nicht wirklich kennen, ist es dann überhaupt möglich, irgendwie vorherzusagen, wie wir uns verhalten, wenn wir »von Sinnen« sind – vor Zorn, Hunger, Angst oder sexueller Erregung? Können wir etwas daran ändern?
    Die Antworten auf diese Fragen sind tiefgreifend, denn sie weisen darauf hin, dass wir uns vor Situationen in Acht nehmen müssen, in denen unser Mr. Hyde das Ruder übernehmen könnte. Wenn der Chef uns vor versammelter Mannschaft kritisiert, sind wir vielleicht versucht, mit einer geharnischten E-Mail zu reagieren. Aber wäre es nicht besser, unsere Antwort erst einmal ein paar Tage im »Entwürfe«-Ordner zu speichern? Wenn wir nach einer Testfahrt mit einem Cabrio, bei der wir den Wind in den Haaren gespürt haben, ganz und gar von dem Wagen hingerissen sind, sollten wir uns nicht lieber eine Bedenkzeit nehmen – und noch einmal über den Plan unseres Partners, einen Kombi zu kaufen, diskutieren –, ehe wir den Kaufvertrag unterschreiben?
    Hier noch einige Beispiele mehr, wie wir uns vor uns selbst schützen

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