Mord, der keiner sein durfte
Stefan Aust
Zum Fall Barschel
Vorwort
Ein perfekter Mord ist ein Todesfall, der nicht als Mord auffällt, der nach einem Unglück aussieht, einer tödlichen Erkrankung – oder nach Selbstmord.
Seit fast 25 Jahren wird darüber gestritten, ob der Tod des ehemaligen Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel in die eine oder die andere Kategorie fällt. Geklärt ist der Fall bis heute nicht.
Das ist am wenigsten der ermittelnden Staatsanwaltschaft in Lübeck anzulasten, die über Jahre versuchte, Licht in das Dunkel des Hotelzimmers 317 im Genfer Hotel »Beau Rivage« zu bringen, wo der Politiker am 11. Oktober 1987 tot in der Badewanne aufgefunden wurde. Der Leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Wille hatte den Fall erst sieben Jahre nach dem Tod Barschels übernommen, da hatten die Schweizer Ermittler im Grunde schon aufgegeben – mit dem schlichten Ergebnis, Uwe Barschel habe Selbstmord begangen. Aus dem Chaos der Anfangsermittlungen, den Lücken der Spurensicherung und den offenkundigen Grenzen des Aufklärungsinteresses schweizerischer Behörden destillierten Oberstaatsanwalt Heinrich Wille und seine Mitarbeiter einen neuen Befund – und der sah eher nach Mord als nach Selbstmord aus. Vor allem das Obduktionsergebnis mit den unterschiedlichen Abbaustufen der verschiedenen Betäubungsmittel, die in Barschels Körper gefunden worden waren, ließ darauf schließen, dass Uwe Barschel bereits bewusstlos war, als das am Ende tödliche Gift in seinen Körper gelangte. Dass er sich dies nicht selbst zugeführt haben konnte, lag damit auf der Hand. Auch die Spuren an Barschels Kleidung, im Hotelzimmer und im Bad waren ohne reichlich Fantasie nicht mit einem Suizid zu erklären.
Bald fanden sich Wille und seine Männer in einem Dschungel politischer und geheimdienstlicher Interessen gefangen, auch die Führung der Staatsanwaltschaft schien kein sonderliches Interesse an einer nachhaltigen und damit lange andauernden Ermittlung zu haben. Am liebsten wären die schleswig-holsteinischen Behörden und Parteien beim ersten Befund geblieben: Selbstmord. Doch Heinrich Wille ermittelte verbissen weiter, und je mehr er sich in die Tiefen dieses rätselhaften Todesfalles vertiefte, umso mehr Fragen taten sich auf.
Plötzlich wurde Wille selbst zum Thema, seine Suche nach der Wahrheit wurde von Kollegen und Vorgesetzten mit Misstrauen beäugt, so als würde hier jemand einer Chimäre hinterherjagen. Und tatsächlich konnte der Staatsanwalt nicht mit einer Lösung, dem hieb- und stichfesten Beweis, dass es sich um einen Mord handelte, aufwarten – geschweige denn konnte er einen oder mehrere Täter präsentieren.
Jetzt, nach seinem Abschied aus dem aktiven Dienst, hat Heinrich Wille seine Ergebnisse und Erlebnisse aufgeschrieben – das Protokoll einer Mordermittlung im Irrgarten einer politischen Affäre, zwischen östlichen und westlichen Geheimdiensten, Waffenhändlern und Hochstaplern. Auch er kann den rätselhaften Fall nicht aufklären, kann nicht nachweisen, wer Uwe Barschel nach Genf gelockt hat, ob er sich vor seinem Tode mit Leuten getroffen hat, die alles andere als interessiert daran waren, dass Barschel auspackte. Der gestürzte Ministerpräsident hatte nämlich damit gedroht, im Untersuchungsausschuss des Kieler Landtages umfangreich auszusagen. Worüber, kann nur spekuliert werden – bis es vielleicht eines Tages genauere Informationen dazu gibt.
Bislang hat der Fall Barschel etwas von einem Glaubenskrieg, und das hat etwas mit seiner Vorgeschichte zu tun. Uwe Barschel war ein überehrgeiziger Politiker, ein eher rechter, und ein – wie sich nach seinem Tod herausstellte – von Angst getriebener Machtmensch, der in der Panik vor dem Verlust seines Amtes Psychopharmaka schluckte und nach der Vermutung seiner politischen Gegner vor keinem schmutzigen Trick zurückschreckte, um an der Spitze der Landesregierung zu bleiben.
Die Affäre begann mit einem Flugzeugabsturz auf dem Flughafen Lübeck-Blankensee, den Barschel schwer verletzt überlebte. Pilot und Kopilot kamen ums Leben. Kaum halbwegs genesen und noch an Krücken musste Barschel einen Wahlkampf führen, in dem sein Herausforderer Björn Engholm die besseren Karten zu haben schien.
Da kam ein Helfer wie gerufen, ein dubioser Journalist namens Rainer Pfeiffer , empfohlen vom Springer-Verlag. Dieser entfachte eine Schmutzkampagne, in der Engholm mit Privatdetektiven ausspioniert werden sollte, verdächtigt wurde, Aids zu haben, und beim
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