Denken Sie Nicht an Einen Blauen Elefanten
sprachliche Kognition
zugunsten der räumlichen Wahrnehmung abnahm. Jedoch sollte man sich gerade in diesem Zusammenhang vor zu starrem Schubladendenken
hüten. Noch gibt es keine wissenschaftlich wasserfesten Beweise, dass Frauen wirklich schlechter einparken und dafür besser
über ihre Gefühle sprechen können als Männer. Der gesellschaftlich-erzieherische Faktor sowie der Einfluss ebensolcher Behauptungen
sollte dabei nie unterschätzt werden.
i … und sie vermehren sich doch
Lange galt der Glaubenssatz, dass sich Gehirnzellen ab einem bestimmten Alter nicht mehr teilen und vermehren können. Ähnlich
wie der Körper, der bis zum Abschluss der Pubertät wächst und dann langsam, aber sicher kontinuierlich abbaut. |124| Das ist nun widerlegt. In speziellen Arealen wie zum Beispiel dem Hippocampus existieren neuronale Stammzellen, die sich auch
nach der Pubertät noch teilen können. Aufgefallen war das durch eine Untersuchung bei Londoner Taxifahrern. Je länger sie
im Straßengewirr Londons unterwegs waren, desto größer wurde über die Jahre ihrer Berufstätigkeit der Hippocampus. In diesem
Zentrum ist nämlich unsere räumliche Erinnerung in sogenannten Ortszellen abgespeichert. Auch das episodische Gedächtnis ist
hier lokalisiert, und neu dazugewonnenes Einzelwissen wird zunächst im Hippocampus verarbeitet und erst dann in anderen Hirnregionen
abgespeichert. Hippocampus ist übrigens das lateinische Wort für Seepferdchen, da die anatomische Form dieser Hirnregion mit
viel Phantasie an das Meerestier erinnert.
Der Hippocampus ist eine der komplexesten und verletzlichsten Gehirnregionen. Wenn dieser Bereich durch eine Krankheit ausfällt,
ist ab diesem Zeitpunkt das Lernen von neuen Inhalten unmöglich. Alte Erinnerungen können zwar noch abgerufen werden. Aber
nach einer Schädigung der empfindlichen Hippocampuszellen könnte man diesem Menschen jeden Tag die gleiche Tageszeitung vorlegen
– und er würde es nicht bemerken. Oder wenn beispielsweise nur die Ortszellen im Hippocampus geschädigt werden, wird dieser
Mensch keine Wegbeschreibung mehr abgeben können. Ganz wichtig also: Der Hippocampus ist für das Einzelwissen von größter
Bedeutung. Der Londoner Taxifahrer, der die britische Hauptstadt wie seine Westentasche kennt, wird ohne Straßenkarte in Manchester
hilflos verloren sein. Darum unterscheiden wir das auf dem Hippocampus beziehungsweise das mit Hilfe des Hippocampus abgespeicherte
Einzelwissen vom Regelwissen, welches auf der Großhirnrinde lokalisiert ist. Regelwissen wäre zum Beispiel die Fähigkeit,
einen Stadtplan zu erfassen und sich anhand eines Plans schnell in jeder Stadt der Welt zurechtzufinden. Kartenlesen muss
nämlich auch gelernt sein.
|125| Die Großhirnrinde ist also dazu da, Regeln zu generieren und – wie wir später sehen werden – altes Einzelwissen zu archivieren.
Wenn Sie sich vor Ihrem geistigen Auge eine Katze vorstellen, so existiert im Gehirn keine Karteikarte «Katze», die aus einem
großen Ordner gezogen wird. Vielmehr generiert Ihr Gehirn bei der Vorstellung «Katze» aus ganz verschieden Gehirnregionen
das Bild dieses Tiers. Die anatomische Form, die Struktur des Fells, das Gefühl bei der Berührung, das zufriedene Schnurren,
der sanfte Gang – alle diese Informationen werden aus mehreren Orten im Gehirn zu einem Bild von «Katze» zusammengesetzt.
Wenn es sich aber um eine ganz bestimmte Katze, etwa Ihren Lieblingsstubentiger, handelt, dann sitzt diese Information wieder
beim Einzelwissen, nämlich im Hippocampus.
Der Mythos, dass Hirnzellen nicht nachwachsen können, ist also widerlegt. Insbesondere durch eine anregende Umgebung, in der
es viel Neues zu lernen gibt, wird die Nervenneubildung im Hippocampus stimuliert. Nach neueren Studien erhöht ganz besonders
die Bewegung die Zellneubildung im Gehirn. Laufen beispielsweise bietet uns nicht nur eine ständig neue, anregende Umgebung,
sondern es erhöht auch die Neuronenbildung. Eine Studie geht sogar davon aus, dass sich die Zellneubildung im Hippocampus
durch gemäßigtes Ausdauertraining verdoppelt.
Doch Vorsicht: Diese empfindliche Gehirnregion kann auch schnell geschädigt werden. Das gefährliche Stresshormon Cortisol
beispielsweise baut in hohen Konzentrationen besonders diese wichtigen Erinnerungszellen ab. Früher dachte man, dass ein Gedächtnisverlust
nur durch organische Hirnstörungen verursacht werden kann. Heute
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