Miss Sophie, Sie können mir vertrauen
1. KAPITEL
Unverhohlen verzweifelt betrachtete Lady Maria Kentham ihren einzigen überlebenden Großneffen. Gott wusste, David Melville, der augenblickliche Viscount Helford, war immer starrköpfig gewesen, aber jetzt benahm er sich unglaublich.
Er wiederum schaute seine Großtante Maria mit einer Mischung aus Zuneigung und Verzweiflung an. Das Letzte, was er erwartet hatte, war, dass sie, als der Butler ihren Besuch ankündigte, in die Bibliothek rauschen und ihm eine Kriegserklärung machen würde. Betroffen dachte er daran, dass er offensichtlich zu lange fort gewesen war und daher ihre Neigung vergessen hatte, unumwunden zur Sache zu kommen. Dennoch wollte er verdammt sein, wenn er nach ihrer Pfeife tanzen würde.
“Meinst du nicht, Tante, dass es für diese Diskussion noch etwas zu früh ist? Schließlich bin ich erst gestern zurückgekommen. Vielleicht lässt du mir die Zeit, meine alten Freunde zu besuchen, ehe ich mich auf die erschöpfende Jagd nach einer für mich geeigneten Ehefrau mache. Besser gesagt, ehe die ledigen Frauen mir nachstellen.”
“Das ist keine Diskussion, David! Das verlange ich von dir. Die Erbfolge ist gefährdet. Es ist deine Pflicht, unverzüglich zu heiraten. James ist vor über einem Jahr gestorben, und die Leute wundern sich bereits, wo du geblieben bist. Du hast eine zehnjährige Nichte, um die du dich ebenso kümmern musst wie um deinen Besitz und das Weiterleben deines dreihundert Jahre alten Titels. Und was deine Freunde angeht, so hast du meine Erlaubnis, mit ihnen zu verkehren. Auf dem Tanzparkett! Wer weiß, vielleicht hilft Darleston dir sogar, falls du ihm in der Stadt begegnest. Soweit ich weiß, hat er sich zum zweiten Mal in den Ehestand begeben, und zwar mit einer Begeisterung, die ich nur als vulgär bezeichnen kann. Das sollte dir eine Lehre sein. Nur weil du eine dumme Jugendliebe für Felicity empfunden hast, heißt das noch lange nicht, dass du nicht auch zu einer anderen Frau eine Beziehung haben könntest.”
Viscount Helford versteifte sich nach der Anspielung darauf, dass er in der Jugend in die Frau seines älteren Bruders verliebt gewesen war.
“Himmel! Hast du angenommen, ich hätte das nicht gewusst? Es war augenfällig, dass du bis über beide Ohren in Felicity verliebt warst. Der Einzige, der das nicht wusste, war James. Er hat ja nie etwas mitbekommen, nicht einmal die Affären seiner Frau. Und Gott weiß, dass sie genug davon hatte.”
“Er hat nicht Bescheid gewusst? Ich meine, dass ich …”
Ungläubig starrte Lady Maria Kentham den Großneffen an. “Aha, so also ist das! Du hast gedacht, James habe ihr einen Heiratsantrag gemacht, obwohl er wusste, was du für sie empfindest. Deshalb bist du zur Armee gegangen und jahrelang fortgeblieben. Du hast gedacht, er habe dir absichtlich die Braut weggenommen. Um Himmels willen, David! Deine Mutter hat James diese Verbindung vorgeschlagen. Wäre ihm bekannt gewesen, wie du zu Felicity stehst, hätte er sich ihr nie erklärt. Ich nehme an, du hast die Absicht zu heiraten, nicht wahr, Helford?” Sie nahm an, dass er, weil sie ihn so förmlich angesprochen hatte, sich an seine Pflicht erinnert fühlen würde. Er war nicht mehr der Ehrenwerte David Melville. Er hatte jetzt die mit seinem Titel verbundene Verantwortung zu tragen. Keineswegs durfte sie zulassen, dass er diese Verantwortung außer Acht ließ, erst recht nicht der Erinnerung an seine Schwägerin wegen, einer Frau, die seit mehr als einem Jahr tot war. Und wenn er ehrlich zu sich war, musste er sich eingestehen, dass Felicity nie das Mindeste für ihn empfunden hatte.
“Wie du gesagt hast, Tante Maria, bleibt mir keine Wahl.”
Im Stillen atmete Lady Maria auf. Gut! Er würde vernünftig sein. “Also gut. In dieser Saison wird es eine Reihe von geeigneten Debütantinnen geben. Ich werde …”
“Nein! Ich bin sehr gut imstande, mir meine Frau auszusuchen”, erwiderte der Viscount ärgerlich. “Es mag dich überraschen zu hören, dass ich mich gerade noch daran erinnere, wie ich mich bei Frauen beliebt machen kann.”
Lady Maria lächelte belustigt. “Kannst du das wirklich, David? Soweit ich gehört habe, bist du, was Damen angeht, etwas aus der Übung geraten.”
“Den Teufel bin ich!” platzte der Viscount erzürnt heraus.
“Was Damen angeht, habe ich gesagt, mein lieber Junge”, erwiderte Lady Maria unbeirrt. “Ich hege nicht den mindesten Zweifel daran, dass du dir mit den Ballettratten der Wiener Oper genügend
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