Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
die religiöse Werdung der durchaus empfänglichen Knabenseele. Ja freilich, keine wirklich religiösen, aber doch sehr para- und protoreligiöse Gestalten und Gesellen, Geistliche, die sich aufs Errichten von Zeltlagern oder auch nur auf die helfende, im Gegensatz zur heiligmachenden Gnade verstanden, andererseits aber auch aufs immerfortige Schafkopfspielen, katholische Geistliche und Würdenträger und Eiferer, und die empfindsame Knabenseele verstand sie nur allzu gut und allzu willig, ich ministrierte nicht bloß annähernd täglich in zwei bis drei Kirchen, sondern im Überschwang auch noch zuhause auf einem im Kinderzimmer errichteten Altar und später gar Nebenaltar, und die Mutter mußte den Meßdiener machen, während der derart religiös Empfängliche die Liturgie sogar auf lateinisch herunterbetete. Ob sich der kuriose Knabe dabei gleichsam hochgestimmt als Quasi-Priester ohne Priesterweihe dünkte, das entzieht sich meiner Erinnerung. Es war eher so etwas wie unbremsbare Autodynamik, was mich da im eigentümlich Spirituellen an- und vorwärtstrieb – so oder so war jene Knabenseele damals wohl noch religiöser als es selbst Joseph Ratzinger zu Marktl in diesem Alter und jemals danach zu sein vergönnt war; es war romantisch-schleiermacherische, ja schleierhafte Gefühlsreligion rein und reinstens, allein, es war doch auch wie – –
Genug. Daß der ganze zaubrische Spuk dann späterhin noch einige brauchbare Früchte trug, im novellistischen Maria-Schnee-Kirchlein wie im schwer katholischen Kerzenhändler Lattern, der im Roman zwar den leidenden Bischof, ja den Papst mit »geweihten Körnlein« gegen die Gicht versorgt, im Kern aber, alles was recht ist, doch mehr dem Gottseibeiuns im Verband der satanisch weitverzweigten Familie dient –: ganz umsonst jedenfalls waren frühes Leid und vor allem frohe Freud ums Kreuz herum nicht, im Sinne einer ontopsychologischen Werdung des in seinem Sinnen und Trachten durchaus Beeindruckbaren und – – aber lassen wir das.
Den Deifi (vulgo: Teufel) habe ich allerdings auch einmal erlebt, mit circa fünf. Nämlich medial, durch einen Bericht in der Heimatpresse: In Mitterteich, nahe der tschechisch-kommunistischen Grenze, habe er sich, abgefeimt heimlich aus dem Eisenbahn-Zug aussteigend, einmal gezeigt, mit verräterischem Pferdefuß natürlich. Mindestens eine Woche lang überwölbten mich sanftgruselige Angstschauer, und ich traute mich nicht mehr aufs finstere, noch unelektrisierte Klo der mütterlichen Wohnung (der Vater kam um 1948 aus der Gefangenschaft zurück).
Erst mit dem Eintritt in die Aufklärung (vulgo: Max-Josef-Schule) 1947 wurde es wieder besser. Daß wir mit der von mir anfangs unsicher beäugten Rückkunft des Vaters allesamt bis mindestens 1960 immer schön zusammenhausten – Eltern, Großeltern, zwei Kinder – und niemals fliehen o. dgl. mußten, das hat wohl auch zu dieser meiner frühen und ersten Teufelsüberwindung beigetragen.
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Das kleine Tier als immerwährender Partner in Robert Gernhardts Nilpferd-Strip belehrt Schnuffi, als der im todchic künstlermäßigen Rollkragenpulli eine Weihnachtsgeschichte in der Redaktion abliefern möchte:
»Schade! Nichts für uns. Fing verheißungsvoll an, doch dann haben Sie wie üblich zu viel hineingepackt: Die Geburt und die Hirten und die Engel. Merken Sie sich doch endlich: In der Literatur ist mehr oft weniger !«
Schade, mir hat immer das Viele und Durcheinanderne am besten gefallen, nicht viel anders als Walter Jens, der nicht müde wurde, diese Idyllen-Ikonologie beim Bethlehem-Pastoral am unverbrüchlichsten zu bewundern und es auch allzu endlos wortreich niederzuschreiben. Ich war wohl immer mehr Idylliker bis hin zum Kitschier; ein Feind des Einfachen, ein Freund des Vielen und Wesenden und Wuselnden – so wie ich am Hl. Abend immer auf drei Bescherungen aus war: bei den Großeltern, bei der Schwester und mir und endlich bei den Eltern. Bei mir aber fand die große Krippenidylle statt, mit Geburt und Hirten und Ochs und Esel und Engel, und dieser sogar angestrahlt und die Hirten mit einem Herdfeuer ausgestattet, aus der gleichen Batterie, die auch fürs Lampenfunzellicht überm Krippen-Jesuskind sorgte. Das erste- und letztemal in meinem Leben, daß ich mich um hochraffiniert elektrische Dinge gekümmert habe.
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Es muß im harten Nachkriegswinter 1945/46 gewesen sein, da gab ich im Zuge eines Krippenspiels des heimischen St. Georg-Notkindergartens den führenden
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