Denn am Sabbat sollst du ruhen
sein.« Von der Antwort des Vorgesetzten konnte Gold nur einige Worte in scherzhaftem Ton, etwas von Ochajons »persönlichem Charme« verstehen.
Ochajon ging mit den beiden Polizeichefs zum Ausgang, wo sie in einen Tumult gerieten. Aufgeregte Menschen um zingelten die drei und verlangten lautstark Informatio nen. Gold hörte den Chef der Kriminalpolizei, der bei nahe schrie: »Meine Herren, meine Herren. Bitte beruhigen Sie sich.« Und dann: »Das ist Inspektor Michael Ochajon. Er wird die Ermittlungen führen. Er wird alle Fragen beantworten, wenn es soweit ist.« Mit diesen Worten ver schwand er schnell und ließ eine große Gruppe ungeduldi ger und verstörter Menschen zurück.
Eine drückende Stille griff um sich, doch es war klar, daß sie nur wenige Sekunden andauern würde. Ochajon, dem dies offensichtlich bewußt war, wandte sich an Pro fessor Hildesheimer, der hinter ihm stand, und ersuchte ihn, seinen Kollegen Auskunft zu geben, ohne freilich auf Details einzugehen. Gold beobachtete, wie sich alle Besucher schweigend auf die Stühle setzten, die er vor kurzem erst aufgestellt hatte. Hildesheimer, der neben dem kleinen Tisch stand, der für die Vortragende bestimmt war, war tete geduldig.
Gold konnte nicht bleiben und zuhören, da sich nun der Lange sehr höflich ihm zuwandte und fragte, ob er in einem der Zimmer mit ihm sprechen könne. Ohne seine Antwort abzuwarten, öffnete er die Tür zu »Frumas Zimmer«.
Außer der Couch und dem Analytikersessel dahinter befanden sich zwei weitere Lehnstühle in diesem Zimmer, die für gewöhnlich in einer Ecke standen, jetzt aber in einem Winkel von fünfundvierzig Grad in den Raum gerückt waren. Diese besondere Anordnung war üblich für die Vorbesprechung zwischen Therapeut und Patient, sie sollte verhindern, daß der Patient dem Blickkontakt mit dem Therapeuten auswich. Der Therapeut saß immer in dem Sessel nahe der Tür, auch dies geschah mit einer bestimmten Absicht. Auf diesen Platz setzte sich jetzt Ochajon, dann bedeutete er Gold, ebenfalls Platz zu nehmen. Gold hatte das Gefühl, er müsse protestieren, doch er wußte nicht, wie. Er wußte nicht einmal, gegen was genau er protestieren wollte, er merkte nur, daß ein gewaltiger Zorn in ihm aufstieg gegen diesen Eindringling, der sich so entspannt und unbeeindruckt gab und damit in Golds Augen ein Repräsentant für die Zerstörung aller Regeln zu werden begann.
Zunächst schwiegen beide. In Gold wuchs die Spannung mit jedem Augenblick, zugleich war er überzeugt, daß der Polizist, im Gegensatz zu ihm, mit jedem Augenblick ruhiger wurde. Und plötzlich schien Ochajons Gesicht spitz wie das einer Raubkatze. Im gleichen Augenblick aber ertönte seine ruhige und feste Stimme, und sie widerlegte alle Ängste und offenbarte, was tatsächlich hinter Golds Emotionen steckte – eine Projektion, wie sich die Kollegen ausgedrückt hätten, Golds eigene Projektion, die Übertragung seines Erschreckens auf sein Gegenüber. Dessen angenehme und ruhige Stimme bat ihn, alle Ereignisse des Morgens möglichst detailliert zu schildern.
Golds Kehle war ausgetrocknet und wie zugeschnürt, aber selbstverständlich konnte er jetzt nicht hinausgehen, um etwas zu trinken. Daher räusperte er sich und versuchte zu sprechen, schaffte es aber erst nach einigen Anläufen, einen klaren Ton zu treffen. Der dumpfe Schmerz pochte noch in seinen Schläfen, die Migräne konnte jeden Augenblick erneut ausbrechen. Ochajon war ausgesprochen geduldig. Er saß schweigend im Sessel, zurückgelehnt, seine langen Beine hatte er ausgestreckt, die Hände gefaltet, und trotzdem vermittelte er Gold den Eindruck, daß ihm nicht ein Wort entging. Erst als er sicher sein konnte, daß Gold ausgeredet hatte, fragte er: »Und als Sie am Morgen kamen, war niemand in der Umgebung?«
Gold rief sich die leergefegte Straße ins Gedächtnis, auch die schwarze Katze und schüttelte verneinend den Kopf.
Ochajon fragte, ob er ein Auto auf der Straße gesehen habe. Gold erklärte, daß man die abschüssige Straße leicht überblicken könne. In der unmittelbaren Umgebung des Instituts hätte kein einziges Auto gestanden, denn Parkplatzsuche wäre nicht problematisch gewesen. Und dann begann der Inspektor, alles, was Gold an diesem Morgen widerfahren war, Stück für Stück zu rekonstruieren. Was über eine Stunde dauern sollte.
Später berichtete Gold Hildesheimer, wie sehr es ihn gedemütigt habe, wie ein Verdächtiger behandelt zu wer den. Wiederholt
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