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Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Aschenbecher.
    »Nein, nicht jedes Jahr. Alle zwei Jahre wird ein Kurs eröffnet«, erwiderte Gold. Er lehnte die zerknautschte Zi garette, die Ochajon ihm anbot, ab. Er rauche niemals, erklärte er. In den fünfunddreißig Jahren seines Lebens habe er keine Zigarette angerührt. Der Polizist bedeutete ihm mit einer Handbewegung, fortzufahren, doch Gold hatte den Faden verloren. Gedämpfte Stimmen drangen vom Flur ins Zimmer. Er war vollkommen erschöpft und wäre jetzt gerne draußen gewesen, zusammen mit denen, die Stunden nach ihm ins Haus gekommen waren.
    »Welche Kriterien entscheiden über eine Aufnahme?« fragte Ochajon beharrlich und erhielt einen ausführlichen Bericht, in dem es um Empfehlungsschreiben ging und um die drei Gespräche, die jeder Kandidat bestehen mußte. Diese Gespräche waren lang und qualvoll, sie bereiteten dem Bewerber Bauchschmerzen. Anschließend trete die Ausbildungskommission zusammen.
    »Wer führt diese Gespräche?« Es schien, als wisse Ocha jon die Antwort bereits.
    »Die dienstältesten Analytiker, die Lehranalytiker.«
    »Was uns zur Eingangsfrage zurückführt«, lächelte Ochajon: »Wie wird man Lehranalytiker?«
    Gold mußte an ein Gespräch denken, das er, vor einigen Jahren schon, mit einem Kandidaten geführt hatte, der ebenfalls von Neidorf behandelt wurde. Sie hatten ihre Aufzeichnungen verglichen, und der andere sagte: »Sie ist wie eine Bulldogge. Du sagst etwas, und sie schnappt es auf und läßt nicht locker, bis sie den Knochen geknackt hat.« Es gibt Menschen, dachte Gold, deren Ausdauer einen fertig machen kann. Es reicht der bloße Gedanke an ihre Ausdauer. Der Polizist, der ihm gegenübersaß, erschöpfte ihn. Es war unzweifelhaft, daß er nichts übersah, nichts vergaß, aber Gold wußte nicht, warum es ihm so schwer fiel zu antworten. Er sagte, daß die Ausbildungskommission nach einem Zeitraum, der nicht festgelegt sei, beschließe, wer Lehranalytiker werde.
    »Verstehe. Es ist also einfach eine Frage des Dienstalters.«
    Ganz so, erklärte Gold, sei es nicht. Dem Außenstehenden könne der Beschluß willkürlich vorkommen, aber das sei nicht der Fall. Genauso wenig handle es sich um eine zwangsläufige Beförderungsprozedur. Es sei eine Frage der Qualifikation. Für die Entscheidung sei eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, fügte er hinzu, um zu verdeutlichen, daß es sich um eine seriöse Angelegenheit handele.
    »Und wer gehört der Kommission an, die so bedeutende Entscheidungen trifft?« fragte Ochajon und ergänzte, er möchte die Hierarchie kennen lernen.
    Der Kommission gehörten zehn Kollegen an, ausgebildete Analytiker, die in anonymer Abstimmung gewählt würden. Nein, natürlich würden Kandidaten nicht an dieser oder irgendeiner anderen Abstimmung teilnehmen. Ja, zurzeit stehe Hildesheimer dieser Kommission vor. Bereits seit zehn Jahren. »Er wird stets wieder gewählt.«
    Ochajon fragte, ob sie wieder über Neidorf sprechen könnten.
    Gold wollte das nicht. Er wollte das Institut verlassen. Es kam ihm jetzt wie ausgestorben vor. Dennoch antwortete er, sie sei seine Analytikerin gewesen. Er stellte fest, daß er in der Vergangenheitsform von ihr sprach. Verstohlen sah er auf seine Uhr. Es war zwölf.
    Ochajon mußte seine Frage ein zweites Mal stellen. Gold wußte nicht, ob er seinen Ohren trauen sollte. »Feinde?« wiederholte er, »was meinen Sie damit? Das hier ist doch kein Serienkrimi!« Nein, natürlich nicht, alle haben sie verehrt. Vielleicht unterdrückten manche ihre Eifersucht auf den Menschen, die Frau, die Analytikerin, aber »es gab niemanden, der ihr auf eine Weise schaden wollte, wie es Thema von Kriminalromanen ist«.
    Ihm war nicht einmal klar geworden, daß sie erschossen worden war. Und einen Revolver hatte er schon gar nicht gesehen. Er hatte an einen plötzlichen Tod geglaubt, an einen Schlaganfall oder etwas Ähnliches. Sicher, er sei Arzt, aber es sei ihm unmöglich gewesen, sie anzurühren. Nein, er habe sich nicht gefürchtet. Man müsse seine Beziehung zu ihr verstehen. Sie sei seine Analytikerin gewesen. Die letzten Worte wurden fast zu einem Schrei. Dann senkte Gold die Stimme und sagte beinahe flüsternd, daß sie für ihn unberührbar gewesen sei.
    Ochajon stellte die nächste Frage, während er sich wieder eine Zigarette anzündete, ohne Gold aus den Augen zu lassen.
    Gold, der eben noch die mit Asche und Zigarettenstummeln gefüllte Streichholzschachtel betrachtet hatte, konnte sich kaum auf seinem Sessel

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