Denn am Sabbat sollst du ruhen
Augen einen Augenblick von Gold zu lassen, aus der Tasche gezogen hatte, fragte, wie lange diese Behandlung dauere. Gold mußte über diese Frage lächeln. »Das kommt darauf an«, sagte er. Manchmal vier Jahre, manchmal fünf oder sechs, manchmal sieben Jahre.
»Und wie lange dauert die Ausbildung im Institut?« fragte Ochajon, und auch diese Frage ließ Gold lächeln. Bei großer Anstrengung könne man die Ausbildung innerhalb von sieben Jahren beenden, sagte er. Dann betrachtete er für einen Augenblick das Gesicht Ochajons und fragte, ob es nicht besser sei, wenn er sich bei einem solchen doch recht komplexen Thema Aufzeichnungen mache.
Der Inspektor erwiderte, daß im Moment nichts zu notieren sei. Gold, der das als Zurechtweisung empfand, schwieg und wartete.
Die Tür wurde geöffnet, und der Fotograf trat herein. »Ich glaube, ich bin dann fertig«, sagte er und fragte, ob er noch bleiben müsse. Ochajon antwortete: »Nur, bis man die Tote abgeholt hat.« Gold erschauerte. Dann kam eine Frauenstimme vom Flur her: »Michael, ich bin fertig. Hast du noch irgendwelche Wünsche?« Ochajon wandte den Kopf, und auch Gold blickte in das breite, rotwangige Gesicht, das nach seinem Empfinden ganz und gar nicht zu der Beschäftigung paßte, die sich die Frau ausgesucht hatte. Nachdem Ochajon verneint hatte, fügte sie hinzu: »Von uns aus steht dir das Zimmer zur Verfügung. Ich habe um eine zusätzliche Wache gebeten, damit niemand reingeht. Wenn du noch etwas brauchst – du weißt ja, wo du mich findest.« Ochajon erhob sich und ging auf die Frau zu, faßte sie am Arm und verließ mit ihr den Raum. »Auch der Pathologe möchte gehen«, hörte Gold sie beinahe fröhlich sagen, dann wurde die Tür geschlossen. Kurz darauf öffnete sie sich wieder, und abermals saß ihm der Polizeibeamte im Winkel von fünfundvierzig Grad gegenüber.
Die Reaktionen, die Gold für gewöhnlich mit Schilderungen, wie er sie eben Ochajon gegeben hatte, hervorrief, waren immer ähnlich und bestanden aus Erstaunen, Skepsis und auch Heiterkeit. Wenn er den Menschen, die er die »Nichteingeweihten« nannte, die Dauer der Ausbildungs zeit und ihren Charakter auseinandersetzte, folgten zuerst Fragen und dann Scherze. Beides war vorhersehbar: »Wozu ist das gut?« oder »Wie kann man nur so verrückt sein?« oder »Wer das macht, braucht wirklich eine Analyse.« Am schlimmsten waren die befreundeten Ärzte, besonders diejenigen, die sich auf Psychiatrie spezialisiert und nicht die Analytikerlaufbahn gewählt hatten. Er war daran gewöhnt, Sätze zu hören wie: »Du mußt ja verrückt sein, nach dem ganzen Medizinstudium und der klinischen Ausbildung so etwas anzufangen. Sieh mich an, ich leite die Psychiatrische Abteilung.« Diese Art der Reaktion kannte er. Seine Eltern, zum Beispiel, hatten niemals verstanden, was er in dem Institut so genau machte.
Doch Ochajon war anders. Er gab keine Witze von sich, keine sarkastischen Bemerkungen, staunte nicht einmal; er war nur interessiert. Er versuchte die Angelegenheit zu verstehen, sonst nichts. Und seltsamerweise gelang es Ochajon auch, mit dieser einfach vernünftigen Reaktion, Gold zu verunsichern.
Wie ein fleißiger Schüler bat er Gold, daß er fortfahre und den Verlauf der Ausbildung schildere, und erinnerte ihn daran, daß die Frage gelautet hatte, wie man Lehranalytiker werde.
Wieder wagte Gold zu fragen, warum das gerade so wichtig sei, es gehöre doch gar nicht zur Sache.
Ochajon antwortete nicht, sondern wartete geduldig wie jemand, der wußte, daß er schließlich das Gewünschte erhalten würde, und Gold hatte wieder das Gefühl, vorlaut gewesen zu sein; er war angespannt und unsicher wie zuweilen in der Gegenwart von Hildesheimer.
»Nun«, begann er zögernd, »grundsätzlich können Psychiater oder klinische Psychologen mit einer gewissen Berufserfahrung vom Institut angenommen werden. Es werden aber längst nicht alle akzeptiert«, fügte er schnell hinzu.
Die nächste Frage kam, ohne daß Ochajon den Blick von Gold wandte oder das Spiel mit der Streichholzschachtel unterbrochen hätte: »Wie viele werden angenommen?« Ein Kurs würde aus ungefähr fünfzehn Kandidaten bestehen, antwortete Gold.
»Ein Kurs?« fragte Ochajon. »Beginnt jedes Jahr ein neuer Kurs?« Er leerte die Streichholzschachtel auf den Tisch, der zwischen ihnen stand, zog eine völlig zerdrückte Schachtel Zigaretten aus seiner Hemdtasche und zündete sich eine an. Die Streichholzschachtel benutzte er als
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