Denn am Sabbat sollst du ruhen
mußte er die Richtigkeit seiner Aussagen beweisen. Der Polizist stellte ihm Fallen, um ihn in Widersprüche zu verwickeln. Unzählige Male mußte er berichten, weshalb gerade er das Haus freiwillig zur Vorlesung hergerichtet habe. Er mußte Auskunft geben über jeden Schritt, den er seit dem vergangenen Abend getan hatte, er mußte darlegen, woher seine Kenntnisse über Feuerwaffen stammten, er mußte über seine Reserveeinheit reden – »und über was eigentlich nicht?« beschwerte er sich am gleichen Abend bei seiner Frau. »Wonach hat er mich nicht gefragt? Er hat mich so lange ausgefragt, bis ich selbst nicht mehr wußte, was wahr und was unwahr ist. Es blieb kein Augenblick des Tagesablaufs übrig, über den ich nicht berichtet hätte. Ob ich Spuren gesehen habe, ob ich Spuren hinterlassen habe, ob ich einen Revolver gesehen habe ... Er fragte sogar, ob ich geschossen hätte! Und trotzdem konnte ich das Gefühl nicht loswerden, daß er mir nicht glaubte!«
Erst als Ochajon fragte, welches Auto Dr. Neidorf gefahren habe, und Gold ihm den weißen Peugeot genau beschrieb: Modell, Herstellungsjahr und so weiter, da erst empfand er, daß eine Wende im Verhör eintrat. »Gegen Ende ließ er von mir ab«, murmelte Gold, während er sich zurücklegte und dem Regen lauschte. Mina war schon eingeschlafen.
Wie, fragte der Polizist, gelangte Neidorf wohl zum Insti tut, und wo hatte sie ihr Auto geparkt?
Gold wußte es wirklich nicht. Vielleicht hatte jemand sie gebracht, sagte er und bereute es sofort, ohne zu wissen, weshalb. Und er beeilte sich hinzuzufügen, daß sie vielleicht mit einem Taxi gekommen oder zu Fuß gegangen sei.
Daraufhin begann er von ihrem Aufenthalt in Chicago zu sprechen. Gestern erst sei sie zurückgekehrt, und möglicherweise habe sie das Auto die ganze Zeit bei ihrem Sohn gelassen. Er hatte das Gefühl, geschwätzig zu werden und schwieg.
Dann fragte Ochajon nach der Persönlichkeit Neidorfs und betonte, er solle alles berichten, was ihm in den Sinn käme, alles sei wichtig. Gold traute seinen Ohren nicht.
Dieser Polizist gebrauchte die Wendung »alles, was einem in den Sinn kommt«. Diesen Satz verwenden die Therapeuten häufig während der Analysesitzungen. Gold betrachtete Ochajon mißtrauisch und forschte nach einem Anzeichen von Spott oder Ironie in seinem Gesicht, konnte aber nichts davon entdecken. »Deswegen wenden Sie sich besser an Dr. Hildesheimer«, sagte er aggressiv. Doch da Ochajon auf seine Aggressivität nicht reagierte, erklärte Gold, daß Hildesheimer Eva Neidorf gut gekannt habe, besser als jeder andere. Und an diesem Punkt lächelte Ochajon zum ersten Mal. Er lächelte verständnisvoll und sagte, Herrn Dr. Hildesheimer werde er natürlich auch fragen.
Gold begann sich darüber Gedanken zu machen, was der Polizist eigentlich über ihn wußte und woher dieses Wissen stammte. Er erinnerte sich, daß sich Ochajon mit Hildesheimer in das kleine Zimmer zurückgezogen hatte; sicher hatte ihm der Alte dort seinen Namen und die formelle Beziehung zwischen ihm und Neidorf mitgeteilt. Und auch, daß Gold ihre Leiche gefunden habe. Ochajon sagte nichts, aber es war zu erkennen, daß er hartnäckig bleiben würde.
Schließlich begann Gold – stets im Präsens – von ihrer beruflichen Stellung zu reden. Sie sei eine erfahrene Analytikerin, Mitglied der Ausbildungskommission, eine erfah rene Lehrerin und außerdem sei sie – er beschloß, sich nicht lange mit Erklärungen aufzuhalten – auch als Lehranalytikerin tätig.
Ochajon unterbrach ihn mit einer Handbewegung und fragte, was das bedeute.
Ein Lehranalytiker, erklärte Gold, habe die Aufgabe, die Kandidaten des Instituts im Rahmen ihrer Ausbildung zu behandeln. Es gibt, sagte Gold mit einem gewissen Stolz, nur wenige davon auf der ganzen Welt, und in Israel könne man sie an fünf Fingern abzählen.
Ochajon fragte, wie man Lehranalytiker werde und wozu eine Lehranalyse notwendig sei. Er bat Gold entschuldigend, langsam zu erklären, da er mit der Materie nicht vertraut sei. Zum ersten Mal, seit er Neidorf gefun den hatte, fühlte sich Gold etwas entspannt, und er begann ausführlich zu erklären. jeder Kandidat des Instituts müsse selbst eine Analyse durchmachen, dies sei ein integraler Teil seiner Ausbildung. Es sei den Kandidaten nicht gestattet, Patienten zu behandeln, wenn sie sich nicht selbst in der analytischen Behandlung befänden.
Michael Ochajon, der mit der Streichholzschachtel spielte, die er, ohne die
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