Denn am Sabbat sollst du ruhen
Polizist, wie hieß er noch, der ihn so gelöchert hatte, den Mörder sicher ausfindig machen könnte. Nichts von alle dem meinte Gold ernst, er hatte keine Kontrolle mehr über das, was er sagte.
»Vielleicht war es auch eine Mörderin«, sagte Baum gedankenlos.
»Warum Mörderin?« fragte Gold verwirrt.
»Warum nicht?« erwiderte Baum und lächelte breit.
Wieder verstand Gold nicht, was daran lustig sein sollte. Baum stellte die Kaffeetasse geräuschvoll auf den Tisch neben ihm und sagte: »Aus dem, was ich bis jetzt gehört habe, stellen sich die folgenden Fragen. Erstens«, dabei erhob er einen Finger, »was hat sie um diese Zeit dort getan? Zweitens«, dabei hob er den zweiten Finger, »wer kam dorthin, um sie zu treffen? Drittens«, und er hob den dritten Finger, »wer im Institut besitzt einen Revolver? Denn offensichtlich war es jemand aus eurem Institut.« Diese Feststellung schien ihm eine gewisse Befriedigung zu bereiten, und indem er seinen Schnurrbart zwirbelte, fuhr er fort: »Jedenfalls besaß der Täter einen Schlüssel, ob wohl es auch möglich ist, daß sie selbst die Tür geöffnet hat. Kurz«, sagte er mit breitem Lächeln, »die Hauptfrage lautet: Wer hat es getan und warum? Wer konnte von ihrem Tod profitieren? Wer haßte sie so sehr oder –« und da funkelte es in seinen Augen – »wer liebte sie so sehr?« Nur die letzte Frage wurde in fragendem Ton gestellt, alle vorangegangenen wurden als Tatsachen hingestellt.
Gold schwieg und sah Baum an. Wellen des Ekels stiegen in ihm auf, und er dachte, der Grund liege in der selbstgerechten Zufriedenheit seines Gegenübers. Er be reute es aus tiefster Seele, daß er eingewilligt hatte, ihn zu begleiten.
Schließlich erhob er sich und sagte, daß er nach Hause müsse. Mina würde sich fragen, wo er die ganze Zeit bleibe; es war beinahe drei Uhr, sie hatte gekocht, die Schwiegereltern standen ins Haus. Da sagte Baum, anscheinend als Zugabe, den Satz, der Gold endgültig aus der Fassung brachte: »Hat dir eigentlich niemand gesagt, daß auch du verdächtig bist?« Gold war immer ein wenig begriffsstutzig, und jetzt besonders. Anfangs war er nur überrascht, dann fühlte er, wie sein Gesicht heiß wurde vor Verärgerung, während Baum pausenlos weiterschwatzte: »Du kennst das doch aus Kriminalromanen: Der Mörder spielt den anständigen Bürger, benachrichtigt selbst die Polizei, und erst am Schluß entdecken sie alles.« Gold fühlte, wie der Ekel in ihm wuchs, und sagte endlich: »Genug, hör auf, das ist nicht komisch.« Er flüsterte fast, und doch hatte er all seine Kraft zusammennehmen müssen. Baum ließ nicht locker: »Ich habe nicht gesagt, daß du es wirklich getan hast, daß du sie ermordet hast, das habe ich nicht einen Augenblick ge dacht, mich interessiert nur, ob andere daran gedacht haben.« Gold äußerte sich über die Vernehmung durch Ocha jon nur in wenigen allgemein gehaltenen Sätzen, und er unterdrückte den Wunsch, das Gespräch mit einem letzten vernichtenden Gegenschlag zu beenden. Er war im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als Baum sich aus den Tiefen seines Sessels erhob und sagte: »Warte einen Moment, ich komme mit dir. Ich habe hier sowieso nichts zu tun, und draußen ist so ein schöner Tag.« Gold protestierte nicht. Er war so müde, daß er nicht wußte, wie er nach Hause fahren sollte. Sie verließen das Arztzimmer und stießen draußen auf Chedva, die Gold noch aus ihrer Zeit als Assistentin im Hadessa-Krankenhaus kannte. Vor einigen Wochen hatte sie ihn um Rat gebeten, ob sie sich im Institut als Kandidatin bewerben sollte. Dieses Gespräch hatte in Gold ein unangenehmes Schuldgefühl hinterlassen.
Er hatte ihr einen langen Vortrag über die Beschwerlich keiten dieser Ausbildung gehalten, konnte sie aber nicht von ihrem Entschluß, der eigentlich bereits feststand, ab bringen. Er hätte, dachte er später, doch wissen müssen, daß jemand, der solche Fragen stellte, nur Bestärkung sucht für eine längst getroffene Entscheidung. In jenem Gespräch war ihm auch klar geworden, daß sie Patientin von Eva Neidorf war.
Er war nicht schnell genug, um Baum zu warnen, der begonnen hatte, dramatisch die Ereignisse des Morgens zu erzählen, und nicht bemerkte, wie Chedvas Gesicht bleich wurde. Und dann brach Chedva, ohne einen Ton von sich zu geben, zusammen und sackte wie eine Stoffpuppe zu Boden.
Die beiden Ärzte standen einen Moment wie gelähmt, dann kniete Baum neben Chedva nieder, untersuchte ihren
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