Denn ewig lebt die Liebe
Grab stehengeblieben. Wie oft in den späten Nachmittagsstunden führte sein Spazierweg zum Friedhof, um der geliebten Frau noch einmal nahe zu sein. Er starrte auf die schon etwas verwelkten Blumen und stellte fest, dass er vergessen hatte, neue mitzubringen. War das etwa ein Zeichen, dass er langsam anfing, Simone zu vergessen? Bei dieser Vorstellung lief ihm eine Gänsehaut über den Rücken und sein Hals wurde eng. Er drehte sich hastig um und floh vor dem Ort der Ruhe, der ihm heute keine Zuflucht bot. Erst als er wieder bewohntes Gebiet erreicht hatte ging er ein wenig langsamer.
"Guten Abend, Herr Doktor." Ein forschender Blick traf den Arzt, der erschrocken zusammenzuckte. "Ist das bereits ihre letzte Runde durch unser schönes altes Heidelberg? Sie werden uns sehr fehlen, Herr Doktor." Die Stimme des alten Mütterchens, das gerade mit viel Liebe im Vorgarten des schmucken Hauses werkelte, zitterte ein wenig.
Doktor Hofmann rang sich ein Lächeln ab. "Frau Weichel, sie sollen sich doch noch schonen nach der Operation", tadelte er, nur um überhaupt etwas zu sagen.
"Wann geht es denn los?"
Der Arzt zuckte die Schultern. "Am Wochenende wollten wir fahren, falls wir bis dahin fertig sind. Die meisten Sachen haben wir bereits von einer Spedition nach Haselheide bringen lassen."
"Und es gibt wirklich nichts mehr, das sie umstimmen könnte?" Die Frau klang bedrückt. "Sie sind doch unser Doktor. Wir werden sie sehr vermissen."
"Bitte, Frau Weichel, machen sie mir den Abschied nicht noch schwerer als er es ohnehin schon ist." Doktor Hofmann lächelte ein wenig verkrampft. "Selbst meine ältere Tochter liegt mir ständig in den Ohren, ich solle mir die Entscheidung nicht zu einfach machen. Ich habe lange überlegt, das können sie mir glauben."
Else Weichel nickte vor sich hin und seufzte dabei. "Sicher würde ich ebenso entscheiden wie sie. Nach solch einem Verlust gibt es nur zwei Wege, der eine heißt aufgeben und der andere Neuanfang. Für uns wird es nicht einfach sein, einen neuen Doktor zu finden, der so verständnisvoll ist wie sie."
"Danke für das Kompliment." Dr. Alexander Hofmann war sichtlich verlegen. "Ich bin davon überzeugt, dass mein Nachfolger auch zu ihrer aller Zufriedenheit behandeln wird."
"Wollen wir es hoffen", meinte die ältere Dame skeptisch. "Sogar mein Mann, der gewiß noch nicht oft einen Arzt gebraucht hat, ist im Moment ziemlich ratlos, wohin er sich im Notfall wenden soll. Ich sehe schon, das bleibt wieder alles an mir hängen", fügte sie gespielt verbittert hinzu.
Nun musste Dr. Hofmann lachen, und er war dankbar für diesen Stimmungswechsel. "So, wie ich sie kenne, werden sie es schon schaffen, Frau Weichel! Und sollte es einmal gar nicht klappen, dann rufen sie mich an. Ich werde ihnen meine neue Telefonnummer mitteilen. Versprochen. Gemeinsam werden wir gewiß eine Lösung finden."
"Sie werden uns alle bestimmt bald vergessen haben." Wieder seufzte sie, aber dieses Mal klang es ziemlich ernst.
"Ganz sicher nicht. Glauben sie mir, Frau Weichel, ich hab immer gern in Heidelberg praktiziert. Dennoch ist ein Ortswechsel unumgänglich. Ich hoffe, sie und auch die anderen Patienten können mich ein wenig verstehen."
"Natürlich verstehen alle ihre Gründe. Doch sie müssen uns zugute halten, dass wir auch an uns denken." Die Frau streckte ihm die Hand hin. "Nichts für ungut, Herr Doktor. Ich wollte ihnen nicht unnötig das Herz schwer machen. Das Leben in Heidelberg wird weitergehen, auch wenn sie nicht mehr hier sind."
"Das meine ich doch auch", entgegnete der Arzt erleichtert und ergriff Frau Weichels Hand.
In diesem Augenblick passierte es. Mit hoher Geschwindigkeit raste ein roter Sportflitzer daher, und selbst als er mit ziemlicher Sicherheit das graue Kätzchen hätte sehen müssen, das unvorsichtig die Strasse überqueren wollte, drosselte er nicht seine Geschwindigkeit.
Else Weichel hielt sich die Hand vor den Mund, um den lauten Schreckensschrei zurückzuhalten. Auch Dr. Hofmann starrte entsetzt auf die Straße. Der Sportwagen fuhr auf das Kätzchen zu, bis es für einen Moment lang unter dem Auto verschwunden war. Dann kam es wieder zum Vorschein und der Wagen setzte unbeirrt seine rasante Fahrt fort.
"Ich hab mir die Autonummer gemerkt", stotterte Frau Weichel mit bebender Stimme. "Was ist mit dem Tierchen? Ich kenne es, es gehört Krämers und ist noch kaum ein Vierteljahr alt. Sehen sie nur, Herr Doktor, das arme Ding sitzt noch immer auf der Straße,
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