Denn rein soll deine Seele sein
wimmelte es von diesen mageren, verwilderten Tieren, deren furchteinflößend menschlich klingendes Geschrei nachts Rinas Söhne erschreckte. Sie warf die Tür des Trockners zu und wollte ihn gerade einschalten, als wieder ein Schrei ertönte. Sie ging zur Tür und legte das Ohr an das Kiefernholz. Draußen raschelte es im Gebüsch, aber auch das war nichts Ungewöhnliches. Die Jeschiwa war von Wald umgeben, die hohen Bäume boten unzähligen Tieren Unterschlupf - Präriehasen, Rotwild, Eichhörnchen, Schlangen, Eidechsen, hin und wieder auch einem Kojoten und natürlich den Katzen. Trotzdem bekam sie es allmählich mit der Angst zu tun.
Rina machte die Tür einen Spalt weit auf und spähte in die Dunkelheit hinaus. Ein heißer Windhauch traf ihr Gesicht. Am Himmel funkelten die Sterne, aber es schien kein Mond. Sie horchte. Nach einer Weile hörte sie neben dem Zirpen der Grillen noch einen anderen Laut. Ein gedämpftes Keuchen. Sie öffnete die Tür ein Stück weiter. Eine Lichtbahn fiel auf den trockenen, staubigen Boden.
»Hallo! Ist dort jemand?«
Alles blieb still.
Aus dem Augenwinkel sah sie etwas eilig auf den dichtbewaldeten Hang zulaufen. Ein großes Tier, dachte sie zuerst. Doch dann wurde ihr klar, daß die Gestalt einen aufrechten Gang hatte.
Einen Augenblick lang blieb sie reglos stehen. War da wieder das Keuchen zu hören, oder spielte ihre Phantasie ihr einen Streich? Sie zuckte die Schultern und war schon dabei, die Tür zu schließen, als eiskalter Schreck sie durchfuhr. Vor ihr auf dem Boden lag Sarahs Perücke. Die schwarzen Haare waren strähnig und zerrauft.
»Sarah?« rief sie laut.
Statt einer Antwort war nur das Keuchen zu hören. Sie hob mit zitternder Hand die Perücke auf, dann näherte sie sich vorsichtig dem umliegenden Buschwerk. »Sarah, bist du das?«
Das Keuchen wurde lauter. Es schien aus einer kleinen Senke im Unterholz zu kommen. Sie trat näher heran und schnappte entsetzt nach Luft. In der Senke lag Sarah Libba. Schmutzig, mit zerfetzter Kleidung, das schmale Gesicht naß von Schlamm, der ihr über die Wangen und die nackten Brüste rann. Auch die Beine waren nackt bis auf den Schlüpfer, der sich um ihre Knöchel gewickelt hatte, und die Sandalen, die sie an den Füßen trug. Die Augen drohten aus den Höhlen zu treten, die Atemzüge kamen flach und hastig.
Rina stolperte, fing sich wieder und beugte sich zu Sarah herunter, die vor ihr zurückzuckte wie ein verletztes Tier. Als Rina sich hinkniete, konnte sie die frischen Blutergüsse in Sarahs Gesicht erkennen.
Sarah ballte eine Hand zur Faust und schlug sich heftig an die Brust. Sie richtete den Blick zum Himmel und bewegte die Lippen in lautlosem Gebet. Rina nahm ihren Arm und half ihr hoch.
Für eine so kleine Person war Sarah überraschend schwer, und Rina ging in die Knie, als das ganze Gewicht auf ihr lastete. Irgendwie aber schaffte sie es, die jammernde Frau Schritt für Schritt in die Sicherheit der Mikwe zurückzubringen. Sie bewegte Sarah dazu, sich hinzulegen, half ihr behutsam aus der zerfetzten Kleidung und wickelte den geschundenen Körper in ein frisch gewaschenes Laken.
Zuerst rief Rina bei Sarah zu Hause an und bat den Babysitter, Sarahs Mann Zvi im Studiensaal aufzusuchen und ihm zu sagen, er möge so schnell wie möglich zur Mikwe kommen. Dann verständigte sie den Rosch-Jeschiwa und zuletzt die Polizei.
2
Deckers Gesicht wurde immer düsterer, während er die Einzelheiten in einem kleinen Notizbuch festhielt. Manche Tage hörten ebenso scheußlich auf, wie sie anfingen. Erst hatte Jean ihn wegen einer Erhöhung der Unterhaltszahlungen genervt, dann war er den ganzen Tag vergeblich einem Hinweis auf den Sittenstrolch von Foothill nachgegangen. Und jetzt wurde zu allem Überfluß noch eine Vergewaltigung in der Judenschule gemeldet.
Angewidert betrachtete er die Aktenstöße auf seinem Schreibtisch. Sobald es heiß wird, spielt sich das Leben hauptsächlich auf der Straße ab, und weil es so heiß ist, ziehen die Frauen sich immer luftiger an, bis irgendein Spinner daherkommt und sich sagt, daß »die Weiber selber schuld sind«. Er hatte die Nase voll von diesem Job, hatte es satt, mit anzusehen, wie die Opfer von Notzuchtverbrechen von einer verkorksten Justiz im Namen der Gerechtigkeit durch die Mangel gedreht wurden. Decker spielte ernsthaft mit dem Gedanken, sich ins Morddezernat zurückversetzen zu lassen. Zumindest blieb den Opfern, mit denen sie es dort zu tun hatten, eine
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