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Denn wer zuletzt stirbt

Denn wer zuletzt stirbt

Titel: Denn wer zuletzt stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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und meine Dummheit, ans Telefon gegangen zu sein, putzte ich mir nicht die Zähne, rasierte mich nicht und bummelte noch etwas herum. Als das Telefon wieder klingelte, nahm ich nicht ab. Was immer Celine jetzt sagen würde, es würde mich nur wütender machen.
    Gegen Viertel vor sieben betrat ich unsere Aufnahmestation. Und ich war kaum fünf Minuten im Dienst, da schleppte die Feuerwehr den ersten Fall herein. Es war Mischa, der Russe. Mischa war ziemlich gelb. Und Mischa war mausetot.

    Die Aufnahmestation eines akademischen Lehrkrankenhauses wie das, in dem zu arbeiten ich seit acht Jahren die Ehre hatte, ist das Nadelöhr, durch das sich der Patient zwängen muß, wenn er akut in unsere Beste-aller-Kliniken aufgenommen werden will. Egal, ob er aus eigenem Antrieb kommt oder von seinem Hausarzt eingewiesen worden ist. Im ersten Fall hat er fast bessere Chancen. Niedergelassene Ärzte, das weiß der Klinikarzt, sind Spezialisten für Immobilienfonds mit hoher Verlustzuweisung, Steuersparmodelle in Liechtenstein oder für die Entscheidung Rein-in-den-Dollar oder Raus-aus-dem-Dollar, nie jedoch für medizinische Fragen wie Rein-in-die-Klinik oder Raus-aus-der-Klinik. Sie weisen entweder viel zu spät ein, da sie tagelang an einer falschen Diagnose herumgedoktert haben, bis der Patient so gut wie klinisch tot ist, oder sie schicken vollkommen Gesunde, weil »das EKG schlecht« oder »sein Labor vollkommen durcheinander« ist. Oder weil ein Golfturnier ruft.
    Es gibt natürlich auch Leute, die wollen gar nicht in unserer Besten-aller-Kliniken aufgenommen werden. Es sind die mit dem Geheimtip, daß du auf der Aufnahmestation nachts nicht lange warten mußt, im Zweifel von fünf verschiedenen Spezialisten gesehen wirst, ein aktuelles EKG und einen Haufen Laborwerte bekommst und als Zugabe noch ein Röntgenbild, alles innerhalb von ein, zwei Stunden. Ein Programm, das in der niedergelassenen Medizin im günstigsten Fall vier Wochen Dauerstreß mit zwanzig entnervenden Telefonaten zur Terminvereinbarung und insgesamt zehn Stunden Wartezimmer bedeutet.
    Im Arztzimmer der Aufnahmestation hatte ich mit meinen Klamotten auch meine Hoffnungen auf einen gemütlichen Abend abgelegt. In meinem Arztkittel, komplett mit Stethoskop und meiner Dosierungskladde für Notfälle, stand ich bereit für die Herausforderungen der kommenden Nacht. Zum Glück übernahm ich die Aufnahmestation von Marlies. Bei anderen Berufsgenossen kann es dir passieren, daß sie dir ein fröhliches »alles unter Kontrolle« zuwerfen und verschwunden sind, noch bevor du dir den Arztkittel übergezogen hast. wenn du dich dann umschaust, liegen die Betten voll mit Patienten ohne Krankengeschichte, ohne Untersuchungsbefund und ohne Konzept, und aus den Untersuchungszimmern rufen Leute, die seit Stunden auf einen Arzt warten. Bei Marlies war man vor solchen Überraschungen sicher.
    Heute würde es sowieso bis zum Ende des Spiels ruhig bleiben. Mit einem Auge verfolgten wir die Aufholjagd unserer Mannschaft in Liège, mit dem anderen Auge studierten wir die Speisekarte von der Pizzeria um die Ecke. wir wollten uns etwas kommen lassen, bevor nach dem Fußball der Trubel losgehen würde. Eine der ersten Sachen, die du im Krankenhaus lernst: Esse und schlafe, sobald sich die Möglichkeit dazu ergibt. Es könnte für viele Stunden die letzte sein.
    Ich stritt mich gerade mit Schwester Sophie, ob ich das letztemal Lasagne al forno oder Spaghetti alla Chef genommen hatte, als die automatischen Türen aufflogen und Kollege Schreiber hereinstürmte. Hinter ihm seine Notarztwagen-Rettungssanitäter mit einer Trage und auf der Trage ein Patient mit unserem Rundum-Sorglos-Paket: Er oder sie war intubiert, das tragbare Beatmungsgerät führte zu einem rhythmischen Auf- und Abschwellen des Brustkorbs, mehrere Perfusoren drückten irgendwelche Medikamente wohldosiert in den Körper, und ein EKG-Monitor piepte schön regelmäßig sechzigmal in der Minute.
    Schreiber schrie: »Intensiv, Intensiv, den Schlüssel!«
    Die Rettungssanitäter fragten nach dem Spielstand.
    Patienten, die mit dem Notarztwagen hereinkommen, werden in der Regel direkt auf die Intensivstation »durchgefahren«. Zur Intensivstation fährt ein eigener Fahrstuhl, für den wir auf der Aufnahmestation den Schlüssel haben. Hat ein jüngerer Kollege Dienst auf dem Notarztwagen, entscheidet der Aufnahmedoktor, ob die Intensivstation wirklich nötig ist, bevor er den Fahrstuhlschlüssel herausrückt.
    »Was bringst

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