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Denn wer zuletzt stirbt

Denn wer zuletzt stirbt

Titel: Denn wer zuletzt stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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du uns denn da Schönes, Schreiber?« fragte ich betont lässig, jeder Zoll der erfahrene Altassistent, der durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist. Schließlich war das auf der Trage nicht mein Patient.
    »Gib uns den Schlüssel, Hoffmann! Was willst du? Der Mann ist beatmet, braucht volle Kanne Katecholamine und hängt am Schrittmacher. Wollt ihr das hier unten versorgen?«
    Ganz schön keck für einen Doktor, der erst ein knappes Jahr Vollassistent ist, aber sicher stand Schreiber selbst auch unter volle Kanne Streßhormonen. Und darüber hinaus war er sicher auch stolz, daß er das Rundum-Sorglos-Paket ganz alleine geschafft hatte. Wenigstens dafür durfte er ein Lob erwarten.
    »Gut gemacht, Schreiber. Nun laß mich mal gucken.«
    Ich konnte allerdings nur Gesicht und Oberkörper von Schreibers Patienten sehen, der übrige Körper war unter medizinischer Hightech vergraben. Reglose Pupillen saßen in quittegelben Augäpfeln, und der Oberkörper erinnerte an eine große Landkarte, auf der die schmutziggelben Kontinente der Brüste und Schultern die großen dunkelblau-roten Meere auf Brustbein und Oberbauch umspülten. Wir hatten es mit einem Fall von ausgeprägter Gelbsucht mit massiven Einblutungen unter der Haut zu tun, am ehesten mit einem totalen Leberversagen, Prognose äußerst schlecht. Ein Fest für die Intensivstation, allerdings ein Fest mit fast sicher tödlichem Ausgang. Trotz seiner schmutziggelben Farbe kam mir das Gesicht bekannt vor.
    »Du hast recht, Schreiber. Sieht nicht so gut aus.« Ich gönnte mir einen Blick auf die Apparate. »Hast du in letzter Zeit mal auf den EKG-Monitor geguckt?«
    Unbeeindruckt blinkte und piepste der EKG-Monitor vor sich hin. Ein beruhigendes Geräusch, solange man nicht auf den Monitor schaute. Dort war zu sehen, daß zwar das von Schreiber gelegte Schrittmacherkabel sechzigmal in der Minute dem Herzen des quittegelben Patienten einen gutgemeinten kleinen Stromstoß verpaßte, dieses Herz sich aber beim besten Willen nicht mehr zur Arbeit überreden ließ. Patienten haben oft Angst, sie könnten mit einem Herzschrittmacher nicht sterben. Falsch, wie dieser Fall demonstrierte. Dieser Patient war mausetot.
    Schreiber sah es jetzt auch, und ebenso erkannten seine Rettungssanitäter sofort das Problem.
    »Bis eben hatta noch geschnauft«, riefen sie im Chor.
    Welche Mängel die Ausbildung auch haben mag, diesen einen Satz bringt die Feuerwehr ihren Leuten wirklich gut bei. Ich guckte dem Patienten in die starren Pupillen, dann Schreiber in seine unschuldsvollen nordisch blauen Augen.
    »Intubiert, maschinell beatmet und trotzdem selbst geschnauft. Erstaunlich!«
    »Na ja«, schränkte Schreiber ein, »also mindestens an der Kaisereiche hatte er noch einen Druck.«
    Von der Kaisereiche sind es zirka drei Kilometer bis zum Krankenhaus.
    »Wie war er denn, der Druck?«
    »Na, so vierzig, fünfzig systolisch.«
    »Zeig mir doch mal das Protokoll, Schreiber.«
    Jetzt hatte ich ihn, und das wußte er. Natürlich hatte er kein Protokoll, ein Notarztwagendoktor hat während des Einsatzes Besseres zu tun. Die Protokolle von der Nacht schreibt man frühesten am nächsten Morgen beim Frühstück, wenn man dazu kommt. Aber Vorschrift ist, bei jedem Einsatz laufend Protokoll zu führen, und was immer er auch gelogen hätte – hätte er schriftlich gelogen und mir ein schönes Protokoll mit ein paar getürkten Werten zu Druck und Atmung des Patienten vorgelegt, ich hätte keine Chance gehabt.
    »Was machen wir jetzt?« fragte Schreiber etwas kleinlauter als vorher, nun wieder Schreiber mit weniger als einem Jahr Klinikerfahrung.
    Die Entscheidung war leicht – ab in die Pathologie. Das hört sich ziemlich einfach an, ist es aber nicht. Die Frage war nämlich, ist dieser Patient tot eingeliefert worden, oder hat er ausgerechnet einen Zentimeter hinter der Schwelle der Aufnahmestation seinen letzten Seufzer gemacht. Das entscheidet die eigentliche Frage, wer nämlich den Papierkram macht und sich um den Transport in die Pathologie kümmern muß, der Notarztwagen oder die Aufnahmestation. Und genau das hatten die Rettungssanitäter mit ihrem »bis eben hatta noch geschnauft« gemeint.
    »Nimm dir einen Kaffee, Schreiber. Dichte ein schönes Protokoll, und dann machen wir zusammen einen wunderschönen Totenschein.«
    Ein bißchen tat mir Schreiber leid. Der Nachtdienst auf dem Notarztwagen ist nicht sehr beliebt, weil arbeitsintensiv, und wird deshalb in der Regel den jüngeren

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