Denn wer zuletzt stirbt
lästigen Hund aus verbrecherischer Entführerhand zu retten, der immer noch irgendwo festgehalten wird, verhungert, als Versuchstier gequält wird, was weiß ich.«
Zur Sicherheit schaute ich Kommissar Czarnowske an, sein Gesicht drückte unverändert höfliches Warten auf eine Erklärung für meine Spazierfahrt aus. Ich hatte die Antwort wirklich nur gedacht. Wenn ich heute nacht wenigstens geschlafen hätte!
»Nach einem schlimmen Tag in der Klinik brauchte ich einfach Abstand. Da bin ich in der Gegend herumgefahren, mache ich öfter. Reiner Zufall, daß ich in der märkischen Schweiz gelandet bin.«
»Einfach so herumgefahren, ich verstehe.« Der Kommissar nickte gedankenverloren vor sich hin. Plötzlich fixierte er mich wieder. »Bei Schneematsch? In einem Auto mit abgefahrenen Sommerreifen?«
Eben noch hatte er behauptet, er verstehe. Nun plötzlich verstand er nicht mehr. Dem Mann war ganz offensichtlich nicht zu trauen.
»Es gab keinen Schneematsch, als ich hier wegfuhr.«
Der Polizist machte sich eine Notiz. Wahrscheinlich zur Erinnerung, dieses Detail zu überprüfen, diesen Arzt endlich einer falschen Aussage zu überführen. Er verlagerte sein Gewicht auf dem Holzstuhl, mit einem Seufzer leitete er die zweite Runde ein.
»Wissen Sie, Dr. Hoffmann, eines unserer Probleme ist folgendes: Wir suchen immer noch nach Angehörigen der beiden Toten. Leute, die informiert werden müssen, sich um die Beerdigung kümmern und so weiter. Ich dachte, vielleicht können Sie uns da weiterhelfen – wo Ihnen doch schließlich eingefallen ist, daß Sie Frau Seeger kannten.«
Laß dich nicht provozieren!
»Ich habe das bereits Ihren Kollegen erklärt: Selbstverständlich kannte ich Schwester Margitta, hatte aber bis vorgestern keine Ahnung, daß sie mit Nachnamen Seeger hieß.«
»Ja, natürlich. Und – wissen Sie, ob Frau Seeger, ich meine Schwester Margitta, Angehörige hatte?«
Langsam gewann ich einen gewissen Spaß an diesem Spiel. Hatte der Kommissar noch ein Aß im Ärmel, oder stocherte er nur blind herum?
»Soweit mir bekannt ist, war sie mal verheiratet.«
»Ja, das ist wohl so. Sie war geschieden. Wissen Sie von anderen Angehörigen?«
Bedauernd hob ich die Schultern. Kalte, unbarmherzige Leistungsgesellschaft – man weiß einfach viel zu wenig über die Menschen, mit denen man Seite an Seite arbeitet!
»Sagt Ihnen der Name Manfred Marske etwas?« Vorsicht, Hoffmann!
»Sollte er?«
»Manfred Marske war der zweite Tote in jenem Maisfeld, der Bruder von Frau Seeger. Aber den kannten Sie natürlich auch nicht!«
Als ich nur den Kopf schütteln konnte, senkte der Kommissar seinen Blick gen Boden, als hätte er selbst gerade einen nahen Verwandten verloren, an den sich nun außer ihm niemand mehr erinnern wollte. Oder er trauerte wegen der schlechten Zeiten, in denen man als Kriminalpolizist ohne Daumenschrauben und andere bewährte Erinnerungshilfen auskommen mußte.
»Dann können Sie mir sicher auch nicht erklären, Dr. Hoffmann, wie Ihr Name in die Kartei von Herrn Marske kommt?« Schon unsere Eltern haben uns das Problem erklärt: Eine Lüge bedingt die folgende. Aber, was man dann bald selbst herausfindet: Auch eine Wahrheit führt leicht zur nächsten. So schnell ließ ich mich nicht in die Ecke drängen.
»Mein Name in seiner Kartei? Sie meinen Hoffmann? Schauen Sie mal ins Telefonbuch, Herr Kommissar, wie viele Hoffmanns es in Berlin gibt. Sogar Dr. Hoffmanns dürfte es über hundert geben.«
Der, Polizist nickte, legte mir dann etwas auf mein Bett. Noch bevor ich es anschaute, wußte ich, was es war: die Fotokopie jenes Formulars, das Marske und ich kurz nach Neujahr ausgefüllt hatten, komplett mit Namen, Adresse, Beruf, Wohnungswunsch von Dr. Hoffmann und seiner kleinen Tochter. Kommissar Czarnowske erhob sich.
»Das können Sie behalten, als Erinnerungshilfe sozusagen. Ihre Kollegen haben mir erklärt, daß Sie noch unter Medikamenten stehen. Ich werde mich wieder melden, wenn es Ihnen besser geht. Bestimmt kehrt dann auch Ihr Gedächtnis zurück.«
In der Tür wünschte er mir noch gute Besserung, dann war er verschwunden.
Es gab keine Karten auszuzählen, keinen Punktestand zu vergleichen. Trotzdem hatte ich das sichere Gefühl, daß diese Runde an Czarnowske gegangen war. An Schlafen war nun sowieso nicht mehr zu denken, also verordnete ich mir wenigstens eine gründliche Massage. Das hatte ich mir verdient, außerdem war bekannt, daß auf der Aufwachstation eine sehr
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