Denn wer zuletzt stirbt
Kocherklemmen meine Drainagen ab und rollte mir den Gehwagen ans Bett, dann starteten wir unsere Visite. Hinsichtlich der Kleiderordnung wählten wir einen Mittelweg – den Patienten dürfte der Schlafanzug unter meinem Arztkittel kaum aufgefallen sein.
Nach ein paar Tagen fühlte ich mich kräftig genug, das Laufgestell gegen ein paar Krücken auszutauschen und am Nachmittag eine kleine Wanderung rüber auf die Intensivstation zu machen. Wie erwartet, schwitzte Kollege Valenta in seinem Dienstzimmer im Internet über den aktuellen Börsenkursen.
»Na, sieh mal da, Dr. Felix! Von den Toten auferstanden?«
»Wie du siehst. Enttäuscht?«
»Ich war nur über deinen Mut erstaunt, dich nach der OP weiter auf der Aufwachstation behandeln zu lassen.«
»Vielleicht war ich einfach nicht mutig genug, mich von dir behandeln zu lassen.«
»Ha, ha.«
Bisher lief unser Gespräch noch als normale Anmache unter Kollegen. Valenta stieg aus seinem Börsenprogramm aus und wandte sich mir zu.
»Was kann ich für dich tun? Willst du hier auch tarifneutral mithelfen?«
»Will ich nicht. Aber du kannst etwas für mich tun. Bring mir morgen einfach meinen Hund mit.«
Valenta schaute auf. Er grinste, als mache ich einen Scherz, dessen Pointe er noch nicht mitbekam.
»Was für einen Hund?«
»Den Hund, den Margitta und ihr Bruder bei dir untergebracht haben.«
»Was denn für eine Margitta?«
»Die Margitta, von der ich dir neulich erzählt habe, kurz bevor mein Hund entführt wurde. Die Margitta, die zusammen mit ihrem Bruder versucht hat, mich auf dem Weg in die märkische Schweiz umzubringen.«
Erst grinste Valenta weiter, aber bald verlor sich sein Grinsen.
»Hast du irgendwelche Beweise?«
»Genug. Und was dich angeht: Wir waren auf dem Weg zu deinem Ferienhaus in der märkischen Schweiz, das ist mal klar. Zweitens hängt das geheimnisvolle Alibi für Schwester Renate allein an dir. Und drittens können wir uns ja hier einmal nach den verschwundenen Akten von meinen Toten umschauen, in denen du so rein gar nichts Auffälliges gefunden hast.«
»Ich habe dir schon am Telefon gesagt, daß ich diese Akten nicht mehr habe.«
»Stimmt. Aber das glaube ich dir nicht. Ich glaube, daß du diese Akten hier irgendwo versteckt hast. Oder sind sie bereits endgültig entsorgt?«
Valenta erhob sich mit seinen ganzen hundertfünfzehn Kilo und stützte sich am Schreibtisch ab. Sein Kopf war tiefrot angelaufen, seinen Blutdruck schätzte ich aktuell auf über zweihundert.
»Sag mal, du meinst das wirklich ernst, wie?«
»Stimmt, mein Lieber. Du allerdings auch. Warum hättest du sonst versucht, mich noch schnell vor meiner Operation mit der Prämedikation umzubringen?«
Mit schweren Schritten kam er auf mich zu. Zu spät erkannte ich meinen Fehler – ich hatte ihn in die Enge getrieben, ihm keinen Ausweg gelassen, und ich war mit ihm alleine. Er stand jetzt zwischen mir und der Tür. Trotzdem, ohne Krücken und Gips hätte ich vielleicht eine Chance gehabt. Nun hatte nicht einmal Schreien einen Zweck. Um dem Doktor ein wenig Ruhe zu gönnen, sind die, Wände und die Tür des Dienstzimmers auf der Intensivstation schallisoliert.
Keine Chance? Blödsinn! Schließlich verfügte ich über eine potentiell tödliche Waffe – meine Krücke! Wenigstens zur Verteidigung sollte sie ausreichen. Ich holte aus, und wie eine gefällte Eiche stürzte Valenta auf den Boden. Eine Woche nach OP im Prinzip kein schlechtes Resultat, wenn man davon absah, daß ich noch beim Ausholen war. Inklusive Gipsbein kroch ich über den Boden und schaffte es, Valenta auf den Rücken zu drehen. Ein schwaches Röcheln, aber kein Puls mehr.
Na, toll! Ich hatte Valenta in einen Herzinfarkt getrieben, er war jetzt wahrscheinlich im Kammerflimmern und, wenn ich nichts unternahm, in wenigen Minuten Hirntod. Ich begann die Herzmassage. Das alles geschah direkt auf einer komplett ausgestatteten Intensivstation, doch statt in diesem schallisolierten Dienstzimmer hätten wir ebensogut auf einer einsamen Südseeinsel sein können. Kurz unterbrach ich die Herzmassage, warf meine Krücke und traf sogar die Tür, aber auf einer Intensivstation poltert es andauernd irgendwo, niemand kümmerte sich darum.
Also brachte ich mein Gipsbein in eine etwas günstigere Lage und pumpte mir auf Valentas Brustkorb die Seele aus dem Leib. Einen Moment meinte ich, einen Puls zu tasten, aber dann war er auch gleich wieder weg. Was ich wirklich dringend brauchte war ein
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