Denn wer zuletzt stirbt
ordentlich und unterhält uns prächtig. Im Moment fliegt er gerade einen Sturzangriff auf den Buckingham-Palast. Kannst du seine Luftbremsen hören?«
Ich war froh. Winter war noch durch den Wind, aber das war normal. Er würde es schaffen. Also hatte ich ein gutes Gefühl, als ich am Abend zu Celine ging. Und wurde tatsächlich voll entschädigt für meine Frustration heute morgen. Alles andere wäre auch verwunderlich gewesen, denn Celine ist den kostenlosen Freuden des Lebens mindestens ebenso zugetan wie ich.
3
Nichts Aufregendes in der Klinik am nächsten Tag. Herbert Winter lag immer noch auf der Intensivstation, flog aber nur noch zeitweise in seinem Stuka über London. Die anderen Patienten meiner Station für chronisch Kranke waren weniger dramatisch in das neue Jahr gekommen, zum Teil, ohne daß sie es gemerkt hätten, oder, ohne daß das Datum eine größere Rolle gespielt hatte. Bis auf die Frage, ob dies nun der letzte erlebte Jahreswechsel gewesen wäre.
Meine Station C4 umfaßt knapp sechzig Betten und nimmt den gesamten Altbau ein. Sie ist das Ergebnis langer Verhandlungen mit dem Senat von Berlin über den Abbau von Krankenhausbetten, ein seit Jahren anhaltendes Dauerdrama, das zur Schließung ganzer Kliniken geführt hat. Durch einen Vorschlag von mir und dank dem Verhandlungsgeschick unserer Verwaltungsdirektorin Beate war die Klinik letztlich mit einem blauen Auge davongekommen: Von den dreihundertfünfundzwanzig Akutbetten der Humana-Klinik konnte Beate immerhin zweihundertzehn retten und sechzig – selbstverständlich bei erheblich gesenktem Tagessatz – als Betten für chronisch Kranke erhalten.
Natürlich waren alle Kollegen froh über die geretteten Betten und beglückwünschten mich zu meiner tollen Idee, aber keiner war allzu heiß darauf, die neugeschaffene geriatrische Abteilung zu übernehmen – eine Pflegestation für alte Menschen hört sich kaum nach einer Expreßfahrkarte zum Medizin-Nobelpreis an. Und ehe ich mir das Gejammer meiner Kollegen anhören wollte, »warum ausgerechnet ich« und »wie soll ich auf der Geriatrie je meinen Facharzt bekommen?«, blieb der Job wenigstens vorerst an mir hängen, da ich die Facharztanerkennung lange in der Tasche habe und der Verantwortliche für die Dienstpläne und die ärztliche Stationsbesetzung bin. Unausgesprochen fanden die Kollegen diese Lösung auch ganz richtig, denn, wie gesagt, war das mit der Chronikerstation doch sowieso Hoffmanns Idee gewesen. Manchmal bestraft die Geschichte eben auch den, der zuerst kommt.
Die ärztlichen Herausforderungen auf einer geriatrischen Abteilung sind begrenzt, andererseits hat die Arbeit mit den alten Menschen auch ihre Vorteile. Unter anderem geht es weniger hektisch zu, man kann besser über seine Zeit verfügen als auf den Akutstationen. So hatte ich zum Beispiel kein Problem, meine Verabredung mit dem Immobilienmakler Fred einzuhalten. Auf meinem Schreibtisch lag zwar ein Memo von Verwaltungsdirektorin Beate, daß sie mich zu sprechen wünsche, aber ich hatte eine ziemlich gute Vorstellung, was sie bereden wollte. Deshalb war mir im Moment mein Neujahrsprojekt »Verbesserung der Wohnsituation Dr. Hoffmann« wichtiger.
Makler Fred residierte in der Knesebeckstraße, einer inzwischen wieder ziemlich eleganten Seitenstraße des Kurfürstendamms. Sein Büro gefiel mir nicht besonders, auf Neubauformat reduzierte Hepplewhite-Imitate sollten eine Seriosität vermitteln, die durch seine Rolex ohnehin konterkariert wurde. Ich gab ihm eine Kurzzusammenfassung meines Telefonats mit der Bank, die sich leider trotz des in ihrer Werbung verbreiteten Optimismus hinsichtlich der Zukunft auf dem Aktienmarkt im allgemeinen und ihrer Fonds im besonderen nicht in der Lage sah, mein Aktiendepot entsprechend dieser Einschätzung zu kreditieren. Immerhin, Fred bewahrte eine freundliche Miene.
»Natürlich fahren Sie mit Eigentum langfristig immer besser. Aber ohne Frage finden wir auch ein schönes Mietobjekt für Sie, bis sich der Aktienmarkt wieder erholt hat. Und bestimmt etwas, das zugleich den Wünschen Ihrer Tochter entgegenkommt, mit Spielplatz und anderen Kindern im Haus.«
So etwas nennt man wohl ein Eigentor! Mußte meine gestern erst geborene Tochter in naher Zukunft einem tödlichen Unfall zum Opfer fallen? Oder würde ich sie nur in ein Schweizer Internat verbannen?
Hinsichtlich seiner Hoffnungen für den Aktienmarkt war ich nicht so sicher, da schien mir aktuell sogar die Prognose meiner
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